Kapitel 6, Vers 20/1

Die Zeit ist gekommen, auf sie hinzusehen und zu erkennen, wer sie sind, die zu ihm gekommen sind. Er will ihnen zeigen, woran sie Anteil haben sollen: Da sagt er es ihnen: <’Selig seid ihr Armen!’> Er sieht über sie hin. ‚Ihr Armen!’ sagt er.

Er sieht sie an: <’Selig seid ihr, die ihr hier hungert!’> Er weiß, wer sie sind, die ‚große Menge Volks aus dem ganzen jüdischen Lande.’ „Ihr hungert hier!“ Er spricht es ihnen zu.

Sie haben teil am Hunger: Er sagt ihnen zu: <’Das Reich Gottes ist euer!’> Er spricht es ihnen zu: „Ihr hungert hier! Ihr sollt satt werden!“ Auch dabei weiß er, wovon er spricht und zu wem er dabei spricht.

Nicht die ‚Reiche der Welt und ihre ganze Herrlichkeit!’ werden für sie da sein. Das alles könnten sie haben, wenn sie auf die vielen Stimmen hören würden, die vielen Stimmen, die locken, versprechen, verheißen: ‚Ihr sollt satt werden -!

Und Jesus sagt: ‚Ihr sollt satt werden!’

Es gibt die anderen Stimmen mit ihrer grausamen Aufforderung: <Es sprechen eure Brüder, die euch hassen und verstoßen um meines Namens willen: ‚Laßt doch den Herrn sich verherrlichen, daß wir eure Freude mit ansehen!’>

Überall gibt es Menschen, die die Worte kennen vom ‚Frieden wie ein Strom’, oder die immer noch damit rechnen, den ‚Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach’ auf die eigenen dürren Felder leiten zu können.(Jes 66)

Was weiß er denn davon, vom Weinen und von den Gründen, aus denen das Weinen kommt, und von den vielen Gründen, die das Weinen hat, darüber zu weinen. Was weiß er denn schon, was diese Menschen weinen macht, wenn er über sie hinsieht?

Und wenn Jesus es nicht weiß und nicht selber kennt, dann soll er auch nicht einem unter den Vielen sagen: „Selig! Selig bist du in deinem Weinen hier!“ Aber wenn er alles weiß und kennt, dann hat er eine gute Absicht, wenn er sagt: ‚Selig sollst du sein, weil du weinen kannst. Und sagt, noch einmal: <’Selig seid ihr, die ihr hier weinet!’>

Lachen ist, Glückseligkeit, wenn das Weinen sich gelöst hat und mit sich fortgenommen hat, was einen beschwert und bedrückt hat. Das Weinen löst, auch wenn die Gründe für das Weinen nicht geschwunden sind, wenn unter Tränen ein Gesicht lächeln kann.

Aber einen gibt es, der das Lächeln sehen will und die Tränen fortstreicht.

Es gibt auch Menschen, die das Singen wählen, um nicht weinen zu müssen. Andere wählen die Worte, das Erzählen der Geschichten. Aber die Gründe, aus denen das Weinen herkommt, vergehen nicht. Immer wieder kommt das Schluchzen tief innen, wenn das Nicht-Vergessene, das immer Vermisste, das immer nur Fehlende angerührt wird, das, was nie kommt und was immer bleibt als das Rufen, das nie laut wird, weil die Erfahrung gezeigt hat, daß auch auf Rufen hin niemand kommen wird.

Das Weinen ist die Antwort auf einen Schmerz, der nicht vergeht, auch wenn eine Wunde sich geschlossen hat. Auch wenn sich ein Antworten auf das Leiden bilden konnte.

‚Selig! Seid Ihr!’ sagt er.

‚Selig seid ihr!’ hat er zu ihnen gesagt. Es ist das erste Wort, das Jesus wirklich zu vielen Menschen spricht, ohne Warum und Weshalb zu fragen, nicht um sich zu rechtfertigen, sondern ganz von sich selber her, frei und ihnen allen zugewandt.

Es ist seine Wahrheit, die auf die Wirklichkeit seiner Erfahrungen hinweist. „Selig seid ihr!“ sagt er ihnen zu. ‚Selig’ hören sie und sehen ihn an.

‚Selig sind, welche von Menschen gehasst werden - !’

Das soll gelten, das soll das Merkmal sein, woran die Seligen erkannt werden, woran sie sich erkennen sollen - und die Ausgestoßenen, die Gescholtenen, deren Namen verworfen werden als die Namen von Bösen, die niemand mehr kennen darf, deren niemand mehr gedenken wird - die ganz ohne Namen sind.

Die keinen Namen haben ‚unter den Menschen’ - um des Menschensohnes willen - die sollen das Zeichen der Seligkeit tragen und daran sollen sie sich untereinander erkennen, sich annehmen als die, die gemeinsam auf dem Wege sind - solche, die keinen Namen haben.

Drumherum stehen andere und blicken auf die hin, die hungern und weinen müssen. „Freut euch - an jenem Tage!’ ruft er. „Siehe! Euer Lohn ist groß - im Himmel!“

‚Aber!’, sagt es dann doch in manchem, obwohl der Himmel groß ist und die Treue Gottes, wo kann dann der Lohn bloß sein, der verheißen wird? Der Himmel ist weit fort oder nur manchmal einem nahe, in der Nacht, auf einem Berge vielleicht, wenn einer alleine ist dort oben.

Der Lohn ist dann, wenn einer alles sehen kann und es erträgt und es mit sich trägt - und dabei ‚selig’ ist.

Jesus hat es gesagt, er hat es versprochen. Er steht unter ihnen und sieht ihnen ins Gesicht und ihre Augen antworten ihm.

Er ist von dem Berge gekommen, aus seiner Nacht.

Gott ließ und ihn standhalten dem, was er sehen mußte - und das Andre war auch zu ihm gekommen, wovon ein Vorausgegangner gesagt hatte: <Er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind.> Die Zeit soll kommen, die keine Verhüllungen, keine Täuschung mehr kennt? Bis dahin wird es viel bedeuten, wenn jemand daran festhalten kann, daß Gott <wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volkes - in allen Landen!>

So war es gesprochen, so ist es einmal gehört worden.

Die Worte sind weitergetragen worden mit aller ihrer Erwartung und mit der Sehnsucht, die sich nach der Erfüllung sehnte, ohne die Worte zerstören zu müssen. Für den einen Augenblick, da er spricht, ist die Hülle fortgenommen, die über ihnen liegt.

Dennoch soll niemand, der Tränen weinen macht, je das Wort benutzen vom ‚Abwischen der Tränen von ihrer aller Angesicht’, um sich damit herauszureden, um von sich abzulenken und den Trost, dessen die Vielen bedürfen, ihnen wie von Gott her zuzusprechen.

nach oben