Kapitel 21, Vers 1/1

Jesus <sah aber auf und schaute die Reichen, wie sie ihr Opfer einlegten.> Sah auf zu der Frau. Als gäbe es nichts, auf was sonst zu sehen wäre. In seine Augen fällt eine der unscheinbarsten Begebenheiten am Rand des Weltgeschehens. Das Geschehen im Tempel ist unwichtig. Salomo stand in seiner Pracht, das Reich war auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Jesus hat nichts anderes zu tun, als zu einer Frau aufzusehen, die keinen Namen hat.

Anstatt zurechtzukommen, mit dem Wenigen was sie hat, wirft sie das Wenige fort. Wozu? Wofür? Es ist nicht zu sehen, worum sie gebetet hat, wofür sie geopfert hat. Niemand ist bei ihr, der wüßte, warum sie alles weggibt, ob sie verzweifelt sich aufgegeben hat, weil sie hingibt, wovon sie lebt. Sie erhebt sich nicht, drängt sich nicht auf, erhebt keinen Anspruch, lehrt nicht, meistert nicht - tut etwas, ohne sich umzusehen, ob jemand nach ihr sieht.

Nur Jesus sieht zu ihr auf.

Im Tempel bleibt alles, wie es immer war. Keine Seraphen erscheinen. Ferne gerückt ist, was dem Gerufenen wiederfuhr, als er Gott erkannte. <Sein Saum füllte den Tempel> hieß es. (Jes 6.1) Eine arme kranke Frau hat den Saum vom Gewand Jesu angerührt.

Jesus sieht der Witwe zu. Sagt nur, wie vor sich hin: <Sie hat von ihrer Armut alles eingelegt, wovon sie lebte!>

Ihr Tun ist ein Vorbild. Er sieht in dem schlichten unbeachteten Tun die Hingabe, die sein eignes Leben bestimmt. Dazu muß ein Mensch fähig werden, alles von der eigenen Armut einzulegen, alles, wovon das Leben zehrt. Es ist ein Abbild aller geheiligten Handlungen der Vergangenheit, die zum neuen Leben erwachen.

Ohne ihm begegnet zu sein, ohne ihn zu kennen, tut eine schlichte Frau, wovon er gesagt hatte, daß ein Jünger ist, der lassen kann alles, was er hat. Mitten unter allen geschieht das. Die andren sehen nur auf zu ihrem Tempel in seinem Glanz, <fein geschmückt>. Von dem, was jeder sieht, wird nicht ein Stein auf dem andren gelassen werden.

Auf ihn wird nicht gehört. 'Meister!' wird gesagt. Auskunft wird gefordert. Anzeichen sollen gewiesen werden.

<Es wird die Zeit kommen> ist kein Zeichen. Ähnliches ist schon oft gesagt worden. Wenn die Zeit nahe kommt, die Vorbereitung braucht, will jeder sich mit andrem beschäftigen. Anzeichen und Warnungen werden nicht ernst genommen.

Die Zeit ist vorbei, wo aus dem Überfluß eingelegt wird zu den Opfern. Opfer werden gefordert, welche die Armut erbringen muß und alles kosten, wovon das Leben zehrt. Eine neue 'Zeit' bricht an. Mit der Gewißheit des Sehers sagt er ruhig: <'Ein Volk wird sich erheben wider das andre und ein Reich wider das andre!'>

Er nimmt in einem Wort vorweg, was die Zeiten, 'die kommen', ihnen allen bringen werden, ihren Kindern und deren Kindern: <'Sie werden die Hände an euch legen, euch verfolgen.'> Der Aufbruch der Gewalten wird alle Völker und Reiche erreichen, wird Länder verheeren, Länder auslöschen, Leben verzehren, Namen vernichten, neue Namen schaffen, Völker untergehen lassen und Völker ins Licht der Geschichte heben.

Menschgruppen treiben, werden vertrieben, Welten versinken, in denen die Lebendigen zu Hause waren. Menschenwelten bilden sich, Welten an Erinnerung gehen verloren. Vergangenheiten versinken, das Leben der Lebendigen wird um seine Frucht gebracht.

Es ist sein Wort, daß Unheil denen droht, die seinem Namen und seinem Wort anhängen. <'Um meines Namens willen'> sagt er. Und sagt dazu: <'Das wird euch zu Zeugen machen!'>

Ganze Völker und Reiche kommen in Bewegung, stoßen aufeinander, Kriege und Empörungen zerreißen den Zusammenhalt - und die Leute, von denen er spricht, sollen davon zu Zeugen gemacht werden, zu Zeugen, denen <Mund und Weisheit> gegeben werden soll, <welcher nicht sollen widerstehen noch widersprechen können alle eure Widersacher!>

Es sind nicht nur die geschichtlich wirkenden Kräfte, die in Bewegung geraten: Es sind auch die wirkenden Kräfte des Weltgeschehens selber, die alle Menschen umtreiben.

Nach dem Leben selber greifen sie. <Gott ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen Gott> <Sie leben ihm alle!>

Für das Kommende ist es so ausgesprochen worden, nicht um einer Menschengruppe Erklärungen zu ihren Vorstellungen von der Auferstehung der Toten zu liefern. Aber das Gesicht, was ihm zuteil wurde, läßt sich nicht in Worten fassen - die Worte übersteigen das Fassungsvermögen seiner Zuhörer und ihrer Zeit.

Sie finden sich selber nur noch in einer der Rand- und Bruchzonen der Menschengeschichte. Nicht mehr die alten Mächte stehen neben ihnen, eine neue Macht steht auf, zieht ganze Völker im Osten, im Süden, im Westen, im Norden in ihren Machtbereich. Noch steht der alte Baum. Von der Axt hat Johannes gesprochen, die an seinen Stamm gelegt ist.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit.

Wenn das anfängt, dann ist gefordert: <'Seht auf! Dann erhebt eure Häupter, darum, daß sich eure Erlösung naht.'> <Wacht allezeit und betet!> Auftrag und Wunsch ist es, was Jesus ihnen nahelegt: <Daß ihr stark sein möget - zu entfliehen - und: zu stehen vor des Menschen Sohn.>

Der Tempel ist ein unruhiger Ort. Die Stimmen sind alle laut. Es sind viele, die gegeneinander reden und lärmen.

Am Ufer des Stromes stand ein Engel. Seine Stimme hörte nur einer. Was er sagte, nahm er mit.

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