Kapitel 19, Vers 1/1

Der Weg führt durch die Stadt. Ein Oberster wenigstens, wenn auch nur der Zöllner. Mit der herrschenden Macht hat er sich zusammengetan, ist reich geworden dabei. Und fühlt sich gedrängt, Jesus zu sehen und zu prüfen, wer er ist. Es ist ihm nicht so wichtig, was die Leute von ihm denken, als er den Maulbeerbaum besteigt. Aber ihn hat sich Jesus herausgesucht, als er zu ihm aufsieht und dann sagt: <'Ich muß heute in deinem Haus einkehren!'>

Auch ein Oberster der Zöllner muß sich überlegen, wen er sich ins Haus holt, auch wenn der Gast sich selber einlädt. 'Er muß!' sagt er. Warum bei ihm - und nicht bei andren? Auch ein Wandernder wie Jesus sollte sich überlegen, bei wem er einkehrt. Oder braucht er eine Zuflucht? Glaubt er nicht mehr, daß die besseren Leute ihn aufnehmen? Fordert er nicht mit Absicht das Murren vieler andrer heraus?

Wenn Jesus untergeht in Jerusalem, was Gott zu verhüten weiß, dann droht auch ihm Verderben, da wird auch ein roter Strick am Fenster nicht mehr helfen.

<'Auch er ist Abrahams Sohn!'> 'Auch er' - wie Jesus selber: <ein Sohn Judas, ein Sohn Jakobs, ein Sohn Isaaks, ein Sohn Abrahms, ein Sohn Noahs, ein Sohn des Enos, ein Sohn Seths, der war ein Sohn Adams - der war Gottes.> Siehe! Ein Sohn Abrahams teilt aus, gibt von sich Geld und Gut, macht gut, wo er gutmachen kann. Vertraut der Zusage des Jesus, hat ihm nicht nur das Haus geöffnet.

<Suchen und selig machen, was verloren ist -> Dazu kommt des 'Menschen Sohn': Des Menschen Sohn, ein Sohn Adams, der Gottes war'.

Er hat nicht gefragt, wozu Jesus bei ihm einkehren mußte. Er ahnte immer, daß er nicht der war, der er hätte sein sollen. Er war gezwungen, mehr Geld einzunehmen, als rechtens gewesen wäre, er mußte abzahlen, womit er sich sein Amt erworben hatte. Er hat teuer dafür bezahlt, daß er reich ist. Er verfügt nicht über die Mittel der inneren Welt, die ihm ein karges, aber ehrliches Dasein ermöglicht hätten. Er half niemandem mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, weil er Angst hatte: Angst vor dem Elend, Furcht vor dem Nicht-Haben, Furcht vor seinen Mitmenschen, Furcht davor, zur Rechenschaft gezogen zu werden, Angst davor, als einer angesehen zu werden, der auf der 'andren' Seite steht, die aus dem Land Geld herausholt.

Er versucht zurückzugeben, er entäußert sich der Sicherheiten, die sein Dasein tragen, gefährdet sein 'Haus', über das Jesus sagt: <'Heute ist diesem Haus Heil widerfahren!'>

Er hat sich nicht versteckt gehalten hinter den Ausreden und Entschuldigungen: <'Du nimmst, wo du nichts hingelegt hast!'> <'Du erntest, wo du nicht gesät hast!'> Und dann, zuletzt: <'Ich fürchte mich vor dir - du bist ein harter Mann!') Die Gegenrede kommt schon entgegen: 'Ich ernte, wo ich nicht gesät habe?' 'Ich nehme mir, ohne gegeben und gearbeitet zu haben?'

Aber der Mann hatte keinen großen Anteil bekommen, seine Möglichkeiten waren beschränkt, er war nicht geschickt genug auf dem Markt der Möglichkeiten der Welt, um aus seiner Gabe etwas zu machen, um aus seinem Vermögen ein Vermögen werden zu lassen. Er steht nur da, demütig: 'Hier ist dein Kapital.' Er fürchtete sich, vor dem Herrn, der ihm Geld anvertraute, er fürchtete sich vor den Menschen, er fürchtete sich, das Wenige auch noch zu verlieren, das ihm zu nicht eigen war, er fürchtete sich vor der Welt und ihren Gesetzen. Er vertraute sich selber nicht - und traute der Gabe selber nicht. Er mißtraute einem Herrn, der davonzog und ihn alleine stehen ließ mit einem Auftrag, von dem er nichts verstand.

Er zog das Schweißtuch vom Hals, und packte die Gabe ein und vergrub sie, sicher versteckt vor Dieben und: auch vor sich selber. Er hat das anvertraute Gut nicht angerührt. 'Wenigstens das habe ich getan.' Verlegen steht der Mensch, beschämt gesteht er: 'Ich habe nicht vermehrt, aber auch nichts verloren, nichts abgezweigt, um es für mich zu verwenden.

Noch nicht einmal für die Menschen, die mir auch anvertraut sind, hab' ich's verbraucht. Und hatte Furcht, die ganze Zeit hindurch. Er hat sich nicht getraut zu sagen, daß der 'Herr' gut fordern kann, wenn er nicht weiß, wie ihm zumute war, 'Ich habe es nicht besser gekonnt -' steigt es aus der Seele eines mißlungenen Lebens auf. Dieses Erkennen ist seine Frucht.

Vielfältig gab der Mann in Jericho zurück. Vielfältig wird der Gabe der Gehorsam verweigert, vielfältig gehütet die Gabe, eingegraben, versteckt, verborgen gehalten, weil die Verantwortung zu groß ist, weil die Last der Verantwortung zu schwer erscheint.

Die Geschichte trägt nicht, was als Schluß kommt: <'Doch meine Feinde, die nicht wollen, daß ich über sie herrschen soll: 'Macht sie nieder!'> Es ist wieder das sonst verborgene Drohen, das sich offen zeigt: Gericht soll sein und Richten von allen, die sich widersetzen: dem Auftrag, der Begabung, dem Betrautwerden mit dem 'Schatz' an Wissen und Erkennen, dem Vermögen von Erfahrung und der Sammlung von Worten, die Gott zu sagen ließ in einer langen Geschichte. Zu Feinden sind geworden, die der Wahrheit und der Gerechtigkeit nicht dienen wollten.

Jesus hinterließ das und ging weiter: nach Jerusalem -

nach oben