Kapitel 15, Vers 11/1

<Ein Mensch hatte zwei Söhne ->

'Gib mir!' hat der Zweitgeborene von seinem Vater gefordert, <'das Teil der Güter, das mir gehört!'>

Am Anfang aller Geschichten hatte auch eine Stimme gerufen, die nur der Vater zu hören vermochte, als alle andren Stimmen schwiegen; er alleine hörte, mußte hören, wie eine Stimme aus der Wüste rief 'Vater! Vater, gib mir ein Teil der Güter, die doch mir gehören, gib mir Anteil - meinen Anteil:

Ein Teil! Ein Stück nur von meinem Vater!' Die Mutter des Andren aber hatte gesprochen: <Der Sohn dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohn Isaak!' (Gen 21)

Ihr Einspruch hatte Wirkung: <Abraham gab all sein Gut Isaak.> (Gen 25)

Alles sollte ihrem Kind gehören. "Nur Isaak darf einmal als Erbe lachen" hieß es. (Kautzsch 21) Die Sprüche, die Lieder waren dem zweiten Sohn Abrahams zugedacht. Sein erster Sohn hatte nichts zu lachen und hatte nichts zu erben. Seine Mutter war ausgestoßen. Er hatte nur die Wüste. 'Mutter!' hat er gesagt und der Tau der Nacht fiel auf sein Gesicht - und die Tränen seiner Mutter - und seine Augen suchten den Himmel! -:

'Die Sterne - Mutter -'

„Da warf sie das Kind unter einen Strauch", sprach wie zu sich, zur Öde, zur Nacht, in den Himmel: <'Ich kann nicht ansehen des Kindes Sterben!'> Eine Geschichte war es, ein Erzählen: <Gott erhörte die Stimme des Knaben!> Es ist nicht vergessen worden: <Und sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: 'Du bist ein Gott, der mich sieht!'> (Gen 16)

Im Widerstehen des Jesus gegen Verdächtigungen, Anwürfe, gegen das Lauern, ist etwas von dem alten Spruch über Ismael: < ... und er wird allen seinen Brüdern ins Gesicht sitzen!> (Kautzsch)

Davon hat etwas die Art, mit der Jesus ihnen gegenübersitzt, wenn er bei Ihnen ist und das Wort ergreift und gegen die Dunkelheit und Öde der andren inneren Welt aushält. Er hatte hineingesehen in die innere Welt des Vaters; nach ihm hatte der Vater gesehen.

In seinem Erzählen lebt der Gram des Vaters, der zu sich selber sagen muß: 'Hätte ich gehütet meines Kindes!' Er mußte glauben, daß Gott nach seinem Sohne sieht.

Der Sohn hat ihn verlassen, der Sohn war fortgegangen. Er wollte nichts mehr zu tun haben mit dem Vater. Er hat sich auf seinen Weg gemacht. Aber der Vater hat immer noch das Kind vor Augen, den Jungen, der nun aufgewachsen ist und seinem Schicksal entgegengeht. Er ging fort. Ist er auf die Suche gegangen? Was möchte er finden? Keine Mutter hält ihn zurück.

In seines Vaters Haus hat er Leere gefunden, etwas vermißt, was der Vater nicht geben konnte. Als Vater weiß er nicht, was sein zweiter Sohn zu suchen aufgebrochen ist.

Er muß sich trösten mit dem Gedanken an die vielen Kinder, die aufbrechen und für die Väter verloren sind, in die Fremde ziehen - und in die Bitterkeit des menschlichen Geschehens eintauchen, überschwemmt werden von der Bitterkeit der Erde, die alles hergibt und wachsen läßt - nur: dem Einen nicht.

Dem Einsamen, der seinen Vater zurückließ, dem läßt sie nicht wachsen, dem gibt sie nicht, davon zu leben. Er findet keine Erde, die ihn tragen will, und keine Menschen, die ihn aufnehmen. Gott begegnet ihm nicht als ein 'Gott des Schauens', sein Himmel bleibt leer. Niemand ist da, der auf ihn gewartet hat, der ihm aufgetan hätte, damit er ankommen könnte.

Er ist mit Erwartungen gegangen und hat das Gut des Vaters vertan, verworfen, ausgegeben, was ihm zugekommen war - nicht nur das Hab und Gut, auch die Erwartungen und Hoffnungen, die in ihn gesetzt waren, ihm eingepflanzt waren - mit denen die Mutter auf ihn hingesehen hatte - aber vielleicht war auch keine Mutter dagewesen und er war gegangen, weil er nach etwas auf der Suche war, ohne zu erkennen, wonach er suchen mußte. Er fand auch den Himmel nicht, nachdem er die Erde, zu der er gehörte, verlassen hatte. Er wußte nicht, was er tat, als er glaubte, es genau zu wissen, als er alles verließ, was er hatte; er glaubte, das Recht zu haben, sich sein Recht zu nehmen. Es war gut gewesen, daß er ging, es war böse, was mit ihm geschah, als er sich Freundschaft, Sicherheit, Dasein nicht mehr erkaufen konnte.

Er hat den Glauben nicht verloren an den Mann, der sein Vater war. Er findet sich bei den Schweinen im wüst gewordenen Leben und hat nur den Himmel über sich, der über allem ist, und will beten, weil der Weg zu seinem Ende gekommen ist.

Er hat nach etwas gesucht, was er zuhause nicht fand.

Er hatte sich aufgemacht, er hatte den Vater verletzt, er hatte an sich genommen, wovon er glaubte, daß es ihm gehörte, sein Eigen, sein Gut, sein Erbe. Der Bruder meldete es dem Bruder, der fortgegangen war. Der Vater hatte den Einen verloren und war dabei, auch den Andren zu verlieren. Der Vater wartete auf einen, den er nicht verlorengeben wollte.

Wie in den alten Erzählungen sprach es in ihm, daß Gott erhören möchte, wenn in fremdem Land eine Stimme rufen sollte. Es mußte noch immer gelten die Bitte: <Erhöre die Stimme Judas und bringe ihn zu seinem Volk > (5.Mose 33) Es ist die Stimme des Verlassenen und Verloren, die Stimme des Elendes, die ruft: 'Erhöre meine Stimme und bringe mich zu meinem Volk'!

Einmal waren die Beiden seine Kinder gewesen und einer dem andren Bruder. Einer war dem Vater geblieben, aber der Bruder vermißte den Bruder nicht. Der hatte sein Teil erhalten. Der Jüngere hatte gekriegt, was er wollte. Er war mit seinem Teil davongegangen. Er hatte die Wahl und hatte gewählt.

Aber er selber war nicht davongegangen, um zu !eben wie die Lilien auf dem Felde. Er gehörte nicht zu denen, die auf die Suche gingen. Er hielt fest, was sein Eigen war. Der Ältere trug mehr Verantwortung. Er war der richtige Erbe.

Für einen Augenblick blitzt in seinen Zuhörern die Erkenntnis auf, daß der Erzähler auch alles verlassen hatte, was er hatte.

Der Bruder war auf die Suche gegangen nach etwas, was er vermißte. Ein Wanderer war er geworden, aber einer, der zunächst genug hatte, um sich unter fremden Menschen sehen zu lassen und sich kaufen konnte, was das Leben ihm schuldete.

Ausgesetzt fand er sich als der Fremde, ein Fremder unter Fremden, der verloren hatte, was ihm Schutz bot, was ihn schützte vor dem fremden Elend, das nach ihm wie nach vielen andren griff. Er darbte unter Menschen, die ihm nicht Nächste sein konnten. Jetzt wußte er, was Hunger und Armut ist.

Der Vater konnte nicht absagen allem, was er hatte, konnte nicht 'Lebewohl' sagen und aufhören, auf die Wiederkehr seines Sohnes zu warten.

'Sohn, warum hast du uns das getan?' hatte eine Mutter gefragt. Aber das Kind war auf dem Weg gegangen, auf den ihn der Vater gerufen hatte.

Dem Vater hatte er abgesagt, sein Gut vertan, und mußte erfahren, daß einer auch gegen den Himmel sündigen kann.

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