Aber am Sabbat lauern sie darauf, ob sie etwas fänden ‚wider ihn’. Da ist ein Mensch, des ‚rechte Hand war verdorrt.’ So viel ist zu begreifen, daß er hinsehen würde zu jenem Menschen, dessen Hand verdorrt ist. Sie kennen den, den sie in ihren Gedanken schon jagen und wissen, daß er den Köder annehmen muss, damit sie eine ‚Sache wider ihn fänden’, wo doch schon ihr Herz sich gegen ihn verhärtet hat. Eine ‚Sache’ muss sie entschuldigen, weil in ihrem Herzen eine Stimme schon für ihn spricht, der den Abscheu vor der verdorrten Hand verwandeln kann in ein Erbarmen, das heilen will. Es hat manchen gegeben, der gesprochen hatte: <Meine Rechte sollte mir verdorren, würde ich dein vergessen, Jerusalem!> (Ps 137)
Diesmal heißt es, daß er sich ihnen zuwendet, nachdem er dem Menschen mit der verdorrten Hand einen Platz unter ihnen zugewiesen hat: <’Ich frage euch!’> Dies ist das Auftreten und das Fragen eines Menschen, der auch ein Herr ist. Zum ersten Mal fordert Jesus ein Antworten auf eine Frage. Der Sabbat hat sie zusammengeführt. Am Sabbat nimmt sich Jesus das Recht, Antwort zu fordern auf eine Frage, die er ihnen stellt.
Er erhält keine Antwort.
Übrig geblieben ist nur die Erinnerung, daß er sich auf David berief, der sich die Schaubrote nahm und das Schwert. Alles andere, was er ihnen sagen wollte, ist untergegangen. Es ist, als hätten sie es nicht gehört und nicht gesehen, was er ihnen zeigen wollte, damit sie verstehen sollten.
Jesus nimmt das Wort an sich. Jetzt hat er sie gefragt, am Sabbat, um das Wort zu lesen und zu hören und Antworten zu geben: <Ich frage Euch!> Die Frage ist gestellt und steht vor ihnen.
<Ist es recht, am Sabbat Gutes zu tun?> Am Sabbat Gutes tun! Die Worte hallen in diesem Raum. Hat er sich schon das Recht genommen, sie zu fragen, dann hat er sich schon das Recht genommen, Gutes zu tun - am Sabbat, er, dem der Sabbat das Recht dazu gibt, als Herr vor ihnen zu erscheinen. ‚Es ist recht, am Sabbat Gutes zu tun!’ müssten jetzt sagen, die schon lange darüber nachgedacht hatten, was das ist, das Gute - und das andre, was nicht das Gute ist, sondern ein Böses.
Jetzt verhindert das Böse, daß das Gute in das Recht eingesetzt wird, das dem Guten zusteht. Um des Bösen willen, das auf allen liegt und um sie herum auf sie lauert, kann nicht mehr das Wort gefunden werden, das ihm zusteht.
Sein Fragen erhält kein Antworten.
Ein Teil ihres Herzens wehrt sich dagegen, auf sein Fragen einzugehen, weil es ‚Nein’ sagen müsste. Um Gottes willen, ein Nein! Denn wer kann nun sagen, was daraus werden kann, wenn erst einmal die Gebote und Verbote in Frage stehen, so eindeutig, daß ein ‚Ja’ gilt und ein: ‚Nein!’ Aber es ist nicht ‚recht’, am Sabbat Böses zu tun. Eher muss jeder darauf verzichten, überhaupt etwas zu tun, um nicht in Bewegung zu bringen, mit dem eigenen Tun, was böse und was gut ist. Damit an einem Tag nicht geschieht, was Böses ist in den Tagen der Menschen. ‚Es ist nicht recht, am Sabbat Böses tun!’ Sie haben deutlich gehört, daß die Entscheidung gefallen ist mit seinem: - „oder Böses?“
Aber nichts zu tun, wäre auch nichts anderes als dem, was geschieht, seinen Lauf zu lassen.
Jetzt spricht er noch einmal, noch deutlicher, noch fordernder: <Leben erhalten - oder Leben verderben?>
So viel an Leben verdirbt, ohne daß jemand dazu etwas tun muss. Sie haben darauf gewartet, daß er etwas tun würde.
Jesus ist des Menschen mit der verdorrten Hand gewahr. Er ist schon jetzt in seinem Tun, das ihnen gilt. Es sind die Antworten ihrer Herzen, welche angesehen werden müssen, die bösen, die bitteren und die guten und schöpferischen Antworten, mit allen ihren Wörtern, hinter denen es sich verstecken kann, das Böse und auch das Gute.
Gott lieben von ganzem Herzen, mit aller Kraft - das würde als Antworten schon genügen, auch wenn die Tage, die einer lebt, alle dagegen sprechen würden und ein anderes Zeugnis geben müssten - so kann doch schon ein Wort helfen, ein Antworten, ein Schreien oder Bitten: ‚Ja - doch - das Gute tun!’ soll das Recht sein, soll das Gute sein im menschlichen Tun : Warum hat denn niemand etwas gesagt, damals - als er sie gefragt hat? <Und er sah sie alle umher an.> Es war still geblieben. Niemand hat geantwortet. Aber er sah sie nur noch an.
Ein Mensch kann nicht mehr tun, als sie, die auch Menschen sind, anzusehen - einen nach dem anderen mit den Augen aufzusuchen, ihre Gesichter, die offenen, die verschlossenen, die jungen und die gezeichneten, anzusehen und ihre Augen zu suchen und das Wissen dahinter, das ihm antworten müsste.
Der Mann mit der verdorrten Hand stand noch immer unter ihnen - wie ein Angeklagter, wie ein Zeuge, wie ein Beweis - ein Ankläger oder schon wie ein Richter, der darauf wartete, daß sein Anwalt mit seinem Worte zu einem Ende kam. Aber es lebt in ihnen, im Verborgenen doch, das Wollen, das sich darauf ausrichtet, das Leben zu erhalten.
Wenn einmal Gott sie danach fragen würde und unter sie stellte einen, dessen Hand nicht mehr zu gebrauchen war, weil sie tot war - wie lautet da die Antwort - für einen Augenblick sehen sie, wie die Rechte Gottes sich über die Hand legt, die keine Kraft mehr hat, aus der das Lebendige gewichen war.
Sie spürten an diesem Sabbat, daß sich Gottes Hand auf die Menschenhand legte. Ein Schatten war über seiner rechten Hand - und es war ganz still gewesen, als hielte die Welt, als hielten nicht nur diese Menschen, den Atem an - um es geschehen zu lassen - daß das Leben zurückkam in diese Hand, und auch der Schmerz, der anzeigte, daß wieder Leben war und Lebendigkeit - und alle Gefühle und alle Möglichkeiten des Tuns, die dieser Hand aufgegeben waren - die sich doch erheben sollte zu einem Zeugnis, daß nicht vergessen war - Jerusalem!
Und Jerusalem stand vor Augen - und nicht nur Mauern und Türme, Häuser und der Tempel, sondern Menschen, Menschen, die ihr Herz daran gehängt hatten. Und glauben wollten, mit der ganzen Kraft ihres Lebens und mit aller Kraft ihrer Hände, die sich für Gott aufheben sollten.
Eine Hand griff nach der Hand von einem unter ihnen, um sie für einen Augenblick zu halten und einer von ihnen überließ seine Hand der andren Hand - für einen Augenblick, für den Augenblick, der ein ganzes Leben bedeutete.
Es war nur für einen Augenblick gewesen. Es war das Leben gewesen, was ihm zurückgegeben worden war. Es ist nur ein Geringes, was eine Hand tun kann.
Auch wenn einer nur erzählt, ist es immer noch, als hielte eine Hand die andre Hand. Beim Erzählen nach so vielen Jahren lächelt ein Mensch, weil es schon so lange her ist und weil seitdem so vieles geschehen ist, was nicht gut gewesen war. Bei allem, was diese Hand seitdem hat tun müssen, was gut war und auch das andere, war doch immer diese andere Hand darüber gewesen.
Es geht seitdem nicht mehr um die Regeln, um Gesetz, um Verbote, um die Diener des Rechtes und der Gerechtigkeit.
Ein Menschensohn hat vom Recht des Sabbates, seines Sabbat-Tages aus geurteilt - auch gegen die, die über ihn wachten. Und die andere Hand war mit ihm gewesen, als er nach der Hand des Mannes gegriffen hatte, um sie für einen Augenblick zu halten, nachdem er ihm gesagt hatte: ‚Strecke Deine Hand aus!’ Und er tat’s!’
Und Jesus sah sie alle umher an: Sie hatten nichts zu sagen, es gab keine Worte mehr.
Aber ihre Antworten drangen doch zu ihm, Erwiderungen aus zerrissenen und gespaltenen Seelen.
Hände braucht jedes Tun zum Erhalten des Lebens - im Handeln, im Verweigern, im Nehmen und Geben. Es sind dunkle Tage und Nächte, wenn die Hand allein bleibt, weil niemand nach ihr greifen will, oder weil die Hand nach niemandem mehr greifen will, um Freude zu geben oder daran teilnehmen zu lassen. Manchmal darf jemand sagen: ‚Ich habe meine Hand ausgestreckt - aber niemand hat mehr nach ihr gegriffen.
Niemand mehr. Um dann doch zu sagen: Gott! Mein Gott!’
Es ist bei ihm zu spüren, daß in ihm Worte mitgingen, die er innerlich zu hören schien, weswegen man ihn auch belauern konnte, um vielleicht doch einmal ‚eine Sache’ gegen ihn in der Hand zu haben. Er schien <das Weinen der Elenden, die verderben müssen>, fortwährend zu vernehmen - so geschah es, daß einer seine Hand ausstreckte und die Hand ergriff, die sich nach seiner Hand ausstreckte.
Selten hat seitdem Jemand so gesprochen, so in Zuversicht: ‚Strecke deine Hand aus!’ Und die Hand gehorchte dem Wort und die Hand wurde ergriffen und ergriff das Heil, das ihr zugedacht war.
„Sie aber“ steht dann da - immer wieder dieses: „Sie aber“! Immer wieder dieses: ‚Aber!’, was gegen die Erfahrung spricht! Von nun an wird man immer ‚Aber!’ sagen und: ‚Warum?’ fragen. Warum und Weshalb! Und einer steht und hat das Recht zu fragen: ‚Warum nicht?’
Jeder wird seither so fragen können, die das Recht angefragt haben, wo Urteilen war und Verurteilen. Die Antwort ist immer vorhanden: Leben erhalten - ist gut! Leben verderben - ist böse! <Sie aber - wurden ganz unsinnig> - und alles, was sie tun wollten, war, darüber nachzudenken, <was sie Jesus tun wollten.>
Darüber nachzudenken, was sie Jesus hätten tun können, ist später dann noch Zeit genug - für alle Zeiten, in allen Völkern, wenn sie zusammenkommen, und sich bereden, was sie ‚Jesus tun’ wollen.
‚Ich habe meine Hand erhoben, um Leben zu erhalten - !’ das hat einer zu sagen.
Sie waren ‚unsinnig’ geworden, als sie sich berieten darüber, was eben noch gewesen war: - und ein kleiner Mensch sollte nicht ganz un-sinnig werden, wenn er sich fragen lassen müsste, was seine Hand getan hat - in einem langen Leben, um das ‚Leben zu erhalten’ - oder wie oft die Hand auch das andere getan hatte, sich hergeben mußte für das andre, das Verderben am Leben.
Aber wenigstens am Sabbat wird es nun immer heißen: ‚ Du bist gefragt, von jenem Sabbat an, ob Leben erhalten ‚gut ist’ oder das Verderben von Leben ‚böse ist’ - damit du es weißt, für immer’. Jesus hat sie alle angesehen, der Reihe nach, um in ihren Augen das ‚Ja!’ zu sehen.
‚Ja!’ haben da die Augen gesprochen, für einen Augenblick in einer Geschichte, die danach auch zur Geschichte anderer geworden ist, weil sie nach der Geschichte der Anderen, nach dem Tun ihrer Hände griff.
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