Kapitel 9, Vers 23/1

Mit <Ich aber sage euch!> (v 27) erhebt er einen Anspruch, der weit über den der Propheten, von Elia und Johannes, hinausgeht. Mit: <Wer mir folgen will!> greift er nach dem Willen und der Bereitschaft von allen, die bereit und fähig sind, sich aufzumachen.

Jesus ordnet an, wie der Weg anzufangen hat: <Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich> <Folgt mir nach!> ordnet er an und fordert zur Leugnung eines Dasein auf, das bisher Anspruch auf Wirklichkeit besaß.

Gemeinsames Dasein besitzt eigene Ordnungen und Regeln, die fordern, daß alles, was nicht in diese Ordnungen und Regeln gehört, geleugnet wird. Ihre Geschichten sind voll davon, wie ihre Wirklichkeit den Anspruch verneinte, der durch den Mund der Propheten erging.

Jesus hatte sein Licht für einen Augenblick nicht verborgen. Damit eine andere Wahrheit als Lebendigkeit erfahren wird, muß die angenommene Gestalt des bisherigen Lebens mit ihren Zwängen, ihren Vorteilen und Belohnungen als heuchlerisch durchschaut und geleugnet werden, damit Raum wird für Neues.

Es sind die alten Erinnerungen vom Abbrechen und Aufbrechen, vom Weitertragen der Lasten täglich zu Orten hin, an denen es auch kein Bleiben gibt.

Er war es, der geleugnet hat, daß das Mädchen gestorben war. Er hat auch geleugnet, daß die Menschen, die ihm nachgezogen waren, notwendig Essen und Schlaf brauchten, wie die Jünger dachten. Er hatte Zutritt gefunden zu der verborgenen inneren Welt eines von den bösen Geistern Besessenen, dessen innere Welt zerstört war und der seine angestammte äußere Welt geleugnet hatte.

Als sie zu seinem inneren Bereich Zutritt fanden, war ihnen sichtbar geworden, daß des ‚Menschen Sohn’ Wusste, wovon er redete und weshalb er Anweisungen gab, denen schwer zu folgen war. Als er auf der Höhe des Berges stand und, alles sehend, verleugnete er selber seine Anspruch auf die Macht und die Herrlichkeit, die er hätte erhalten können. Alle Reiche der ganzen Welt hätten sein werden können. Aber es gab auch da ein: ‚Wenn!’ Er hatte die Berechtigung dieser Bedingung verneint, um nun seine Bedingung auszusprechen.

Sich selbst verleugnen klingt, als könne das Herkommen aus diesem Dorf, aus jener Stadt geleugnet, Verwandtschaft und die Landschaft, die Sprache, Herkommen und Geschichte verneint, Sitte, Brauch und Glaube abgelegt werden - nur um ihm nachzufolgen, um in eine andere Geschichte zu gehen, um in der Geschichte eines andren zu leben und um dann sich selbst als einen Anderen zu erleben.

Hinter jedem Wort, das sie hören und selber sprechen, sind die Worte, die Tausende vor ihnen gesprochen, mit Bedeutungen, mit Sinn erfüllt hatten. Es ist ein vielfältiges Leben, mit dem jeder durch unzählbare Fäden verbunden ist. Es kann niemand sich lossagen von dem Grunde, der sein Leben trägt. Erinnerungen halten sich an mütterliche und väterliche Menschen, die sich einem Kind zuneigten, ihm ihre Zuneigung zeigten, und sich manchmal selbst verleugneten, wenn sie für den kleinen Menschen da sein wollten.

Als sie Jesus im Beten erlebten, sprach es einer als ihr Sprecher aus: ‚Du bist der Christus Gottes!’ In seiner Hingabe ließ er alles hinter sich - leugnete seine Verhaftung in bloß alltäglichem Dasein, leugnete vergangenen Zweifel und Kleinmut - leugnete drohende Schwäche und Unglaube. Für einen Augenblick waren sie aus dem Zusammenhang mit den Anderen entlassen, entbunden von dem Ich, das sie bis dahin getragen hatten und frei genug, sich in der Vollkommenheit dieses Miteinanders selber zu finden.

<... und nehme sein Kreuz auf sich täglich!> hat er deshalb leise gesagt, zu allen, die ihm nachfolgen wollen. Er sah sich selber dabei, wie er unter ihnen durch die Tage ging und sah auf sie, die bei aller Nachfolge ihre Tage lebten in aller Alltäglichkeit und doch nicht mehr solche Menschen sein konnten, wie sie es vorher gewesen waren.

Manches mal hatte einer die Gegenwart und ihre Erfahrungen zu verleugnen, damit die Verheißungen aus der Vergangenheit nicht geleugnet werden mussten und mußte sich selber dabei verleugnen, damit der Glaube aufrechterhalten werden konnte.

<Pflüget ein Neues - und säet nicht unter die Dornen!> (Jer 4)

war einmal angeraten worden. Es war danach, wie es immer gewesen ist: Es wurde weiterhin gesät und die Dornen wuchsen auf. Aber noch niemand hatte verlangt, ein Nein zu sich selber zu sagen.

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