Er brauchte Stille. Er war auch einer, der erwartete und von Herzen bitten konnte, damit er empfinge. <Da er allein war und betete - > heißt es einfach. Was da geschah, wurde nicht gesagt. Es waren ‚nur’ seine Jünger bei ihm. Wie aus einer Ferne, aus großer Tiefe und Schweigen kamen die Worte: <Wer sagen die Leute, daß ich sei?> Er fragte nach den Leuten, obwohl er wissen konnte, was sie über ihn erzählten. Es war, als spräche er woanders hin, als müsse er antworten auf eine Frage, die unhörbar gestellt wurde und ihn selber nach einer Antwort suchen ließ. Er fragte und sie antworteten ihm.
Er fragte nicht wie ein Richter oder wie ein König, bei denen sich die Leute mit ihrem Urteilen nur selber das Urteil sprechen.
Aber sie glaubten, daß einer auferstanden sein konnte, daß einer nicht in die Geschichte gegangen und darin vergangen war, sondern mit der Vollmacht, die er in seinem Leben gesammelt hat, auch auf ihre Geschichte ausstrahlte.
Jesus wandte sich ihnen voll zu: <Wer saget ihr aber, daß ich sei?> Jetzt sind sie selber gefragt.
Unter seinen Augen sagen zu müssen, was er für sie ist, welchen Raum er in ihren Gedanken einnimmt, das fordert ihre ganze Aufmerksamkeit. Und ihre ganze Wahrhaftigkeit, denn es soll ohne Heuchelei vor dem Denken im Herzen, ohne Wichtigtun vor den Anderen und vor ihm, in Worte gebracht werden, was bisher verborgen bleiben konnte.
Es war nur in diesem Augenblick, der ihnen gemeinsam war, daß einer für sie sagte, was seinem Erkennen entsprach, an diesem Tag, als die Kraft ihn trug und die Gemeinsamkeit mit den anderen und sich seine wahre Gestalt ihrem Blick und ihrem Erkennen öffnete: <Du bist der Christus Gottes.>
Er mußte wissen, was die Menschen, mit denen er ging, in ihrem Mitsein mit ihm erfahren haben. Er hat fragen müssen und hat Antworten erhalten.
Jesus hat eine Grenze gezogen mit seinem Gebot, daß sie niemandem das sagen sollten. Es war keine Sache des Sagens und Erzählens. Die Antwort mußte aus der Anteilnahme des eigenen Lebens kommen, wenn sich jemand im Beten dem Christus gegenüber fand. Darüber sollte nicht geredet werden.
Sie empfanden den Ernst, mit dem er ihnen das auferlegte, als ein Drohen. Er drohte, weil sich eine andere Möglichkeit verdichtete. Es öffnete sich dem Sehen und Hören, was geschehen sollte: <Des Menschen Sohn muss viel leiden und verworfen werden.> Es brach etwas mit Gewalt in ihr Erkennen und Begreifen ein, was die Möglichkeiten ihres Begreifens und Ertragens überschritt. Es kostete Mühe, dem Erkennen standzuhalten, was als Last auferlegt wurde.
Ein Wort haben sie gebraucht, in das ein Bild eingegangen ist, in dem der Gesalbte Gottes einem nahe kommt. Ein Gesalbter, denken die Leute, muß ein Unverletzlicher sein, ein Geborgener unter der Hand Gottes. Aber 'leiden und verworfen werden’: das machte ihn gemein mit den vielen Menschen aus der Geschichte der Welt, die leiden mussten und verworfen wurden und keine Namen haben bei den Menschen.
Es sollte nicht kommen, wie es schon einmal gekommen war, daß einer 'keine Gestalt noch Hoheit' hatte und 'keine Gestalt, die uns gefallen hätte' und für den galt: <Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.> (Jes 53)
Das Kommende würde nicht aus dem freien Willen der Leute herrühren. Es ging von den Ältesten aus, welche die Überlieferungen, das Brauchtum wahren und Erfahrungen gesammelt haben, die den Nachkommenden wichtig sind. Es sollte kommen von dem Amt her, das an der Spitze war, ihnen gegenüber Gott vertrat, in dem ein Mensch Gott gegenüber tritt und alle vertritt, der Hohe Priester. Der ‚Hohe Priester’ genießt Achtung, weil so dargestellt wird, daß ein Mensch vor Gott stehen kann und Botschaft erhält und zurückkehrt zu den Leuten, wie einer, der aus dem Himmel zurückkehrt in die Welt der Entbehrenden.
Von einem muß geglaubt werden können, daß zwischen Menschen und Gott das ist, wovon einer zu sagen vermochte: <Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen. Nun hat mein Auge dich gesehen!> (Jes 42,5)
Ein Schriftgelehrter konnte nicht gering achten, worum er sich sein ganzes Leben lang mühte, daß er <nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen.> Von ihm mußte geglaubt werden, daß er die <Lust am Gesetz des Herrn> kennt und <sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht.> (Ps 1) <Der Herr kennt den Weg der Gerechten!> hieß es. Nun hatten sie selber zu erkennen, wie der Weg der Gerechten aussah und was es bedeuten konnte, wenn Gott den Weg der Gerechten kennt.
Er hat nach den Leuten gefragt, weil er wissen mußte, worauf er sich verlassen konnte, es mußte ein Grund vorhanden sein, auf dem sich sein Sagen aufbauen ließ.
Das Machen von Worten kann den Anspruch haben, die gültige Wahrheit auszudrücken. Aber keine Rede und keine Schrift vermag wiederzugeben, was mit dem Wort in Wirklichkeit gemeint ist. Er hat die Zeugen seines Betens angewiesen, über das, woran sie teilgenommen hatten, keine Worte zu verlieren. Die erfahrene Wirklichkeit ließ sich nicht in Rede darstellen. Darüber waren keine Worte zu machen, darüber mußte Schweigen erhalten bleiben.
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