Kapitel 11, Vers 37/2

Jesus folgte einer Bitte, ging zu ihm, der einer von denen ist, die ihr Licht nicht in einen Winkel stellen, nichts zu verbergen haben, was Licht scheuen könnte. Ein Mensch muß sich nicht scheuen davor, daß einer eintritt und 'den Schein sieht', der von seinem Licht ausgeht. Gerade bei ihm unterläßt Jesus das Waschen vor dem Essen. Gerade ihm, als jeder darauf achtet, was Jesus tut und sagen wird, wird Nachlässigkeit, Unaufmerksamkeit vorgeworfen, Kränkung angetan. Anstoß nimmt der, der ihn geladen hat. Er sieht, daß damit eine Absicht verbunden ist.

Und Jesus sieht gut, daß sein Zeichen gesehen wird.

Er sieht nicht auf den einen, der sich gekränkt fühlt. Er sieht die Vielen, die sorgfältig darauf sehen, daß alles, was sie anrühren, sauber und rein sein muß. Der Gastgeber sieht nicht seinen Gast, er sieht nur auf das, was er selber von ihm erwartet. Er begreift in dem Augenblick nicht, daß sein Tun schon dem Tun gleicht, von dem Jesus eben noch gesprochen hat. Ein Licht erhält keinen Raum für den es leuchten kann. Ein Licht wird zugedeckt, bevor es seinen Schein werfen kann auf das Innere, für das es eingeladen ist.

'Ihr!' sagt Jesus: <'Ihr Pharisäer!'>. Jesu: <Aber!'> fährt zu ihnen hin: <'Aber euer Inwendiges ist voll Raub und Bosheit!'> Raub! Bosheit!

Wie ein Blitz zuckt es durch das Innere und macht es hell und läßt sehen, was an räuberischer Gier und an Bosheit verborgen war. 'Ihr!' sagt er. Darauf wird geachtet, daß Becher und Schüsseln rein sind, daß die Hände gewaschen sind.

Dem Menschen , der ihn geladen hat, wird auf einmal klar, daß Jesus nicht zum Essen gekommen ist. Eine andere Art von Miteinander und Zusammensein ist gemeint. Still, In Andacht, hätte er vor dem Gast stehen können, der alles sieht, was er ihm anzubieten hat.

Der Gast, der in sein Haus eintrat, hätte ihn als Dank den 'Tempel Gottes' sehen lassen können: in dem Licht, das er mitbringt, damit es leuchtete allen, die in dem Hause sind. Er hätte es ihren Körpern zeigen können, wie es ist, wenn der Leib licht wird und keine Finsternis mehr in ihm ist, wenn selbst die Finsternis licht wird.

Aber es ist schwer, einem Menschen in Worten die eigene Wahrheit zu öffnen, wenn sich erst Unwille regt, wenn erst Anstoß genommen wird an einem Tun und an einem Nicht-Tun, das ein Zeichen sein sollte zwischen ihm und seinem Gegenüber: Auge in Auge -! Nun - spricht es aus ihm heraus mit diesem: "Ihr!": 'Nicht ich! Ihr!'

Menschen halten ihren Glauben sauber in schönen Gefäßen. Sie halten ihr Leben sauber und stecken ihre Leidenschaft in das Sauberhalten der Gefäße.

Sie haben die Geschichte von dem bösen Geist nicht gehört, der zurückkehrt in die saubere Wohnstatt, aus der man ihn vertrieben glauben wollte, Auch sein Gegenüber kann sich nicht beugen vor der Erkenntnis, daß seine Finsternis nach Erleuchtung schreit.

Und gerade da kommt dieses wütende, böse: 'Ihr!' 'Ihr seid es!' 'Auf dem Markte! Gegrüßt werden!' 'Obenan sitzen!'

Einmal war es wichtig, vor den Leuten die Quasten, die Gebetsriemen, die Betgesten, die Haltung, die Worte vorzuzeigen - um zu erinnern, um zu mahnen, um aufzufordern, das Licht der Worte nicht verlöschen zu lassen: <So oft ihr sie anseht, sollt ihr an alle Gebote das Herrn denken - u n d s i e t u n !>

Das war etwas von dem Leib, der die vielen Kinder Israels seitdem getragen hat, das ist etwas von den Brüsten, die sie gesogen haben, bevor sie Worte kannten und die Welt wußten. Zeichen sollten sein auf der Hand und Merkzeichen zwischen den Augen. (4.Mose 15, 2.Mose 13)

Jetzt sollte das Lichte dieser Worte und der Auftrag des Gebotes finster geworden sein.

<'Du, Menschenkind!'> war dem gesagt worden, der dann verkünden mußte: <Des Herrn Wort geschah zu mir: 'Weissage gegen die Hirten Israels, weissage, sprich zu ihnen: So spricht Gott, Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden!'>

Es war die Stimme Gottes, die aus den fernen Zeiten noch immer wissen ließ: <'Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern! Ich will ein Ende damit machen, daß sie Hirten sind.'> (Hes 34)

Jetzt spricht wieder eine Stimme, in ihren Worten schwingt die andere Stimme mit: <'Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. Wie ein Hirte seine Schafe sucht, so will ich meine Schafe suchen - und will sie erretten!'>

Gegen alle Hirten ist gesprochen, gegen alle Hirtenämter ist geweissagt, allen Menschen- und Völkerhirten wird gedroht: <“Ihr seid wie die verdeckten Gräber, darüber die Leute laufen und wissen es nicht!"> sagt er zu einem und meint sie alle, die glauben lassen wollen, daß ihnen ein Teil des Hirtenauftrages gegeben ist. In den Augen dieses Jesus sind sie alle wie Gräber, über die man hingeht, ohne zu wissen, was unter den Füßen verborgen liegt.

Die Zeiten der Hirten sind noch lange nicht vorüber, obwohl sie schon viele Hirten erlebt haben in der langen Geschichte ihres Volkes. Über den Völkern thronen gottähnliche Herrscher. Die Bilder dieser Gestalten umstehen ihren Kreis wie Ungeheuer. Über Menschen schreiten sie weg, unterwerfen sich Völker und Länder, die Menschen werfen sich vor ihnen nieder, und niemand kann ihnen ins Gesicht sagen, was unter ihnen erlitten wird.

Die Herren denken auch weiter: 'Was können sie uns vorwerfen, Menschen, die keine Stimme haben!'

Sie sind es auch nicht, welche die Erinnerungen tragen "an die Tränen, die ein Leben brauchen würden, um zu trocknen". Die Wunden heilen nicht, die Klagen gehen ins Verlorene; sie werden nicht erhört, die Klagen: 'Ihr seid es, die Hirten, die keine Hüter sind!’

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