Kapitel 11, Vers 1/4

Es bleibt immer etwas übrig, was dazu treibt, sich zu verweigern, wo gutzumachen nötig ist. Aber in jeder Seele wartet auch ein Teil ihrer Kraft darauf, dass es zum Wort und zur Bitte reicht: 'Vergib mir meine Sünde und vergib mir, weil ich dir schuldig bleiben musste, wo ich für dich hätte da sein müssen.'

Ein Erwachen ist, wenn die Kraft des Himmels einen im Beten berührt und erreicht, dass sich das Erkennen und das Wissen entfalten vor dem Vergeben der Sünden und dem Bedürfen des ganzen Gemütes, alle Schuld zu vergeben denen, die einem einmal nahe waren und schuldig geblieben sind, was in ihrer Kraft und in ihrem Auftrag gelegen hätte: zu tun an einem.

Mit feiner Genauigkeit verzeichnet die Seele, was alles die Andren schuldig geblieben sind einem Leben.

Aber den Menschen, welche die Worte bewahrten, war anzumerken, dass sie auch taten, wovon sie die Worte hatten, dass sie wissend sprachen: Denn auch wir vergeben allen, die uns schuldig sind." Das war eine Aufforderung an jeden, der in ihren Kreis eintrat, es ihnen gleich zu tun.

Warten darf nun einer, der es nötig hat, ob ein Mitmensch es als wirklich erweist. 'Wir vergeben allen, die uns schuldig sind!' Als Zeuge wird ein Schuldiger davon reden können, was die Andren an ihm taten, als eine Schuld getragen werden musste. Bezeugen wird er dürfen, dass die Schuld fortgenommen wurde, als die, die die Worte haben, auch danach handelten.

Ein ganzes Leben lang wurden die Worte nachgesprochen. Dann kommt die Erkenntnis, dass in Wirklichkeit alles, was gelebt wurde, der Versuch war, Schuld gutzumachen, die nur 'vergeben' werden kann oder eine Schuldigkeit zu leugnen, die zu erfüllen die Frucht eines Lebens gewesen wäre.

'Sprich uns nach!' bitten die Männer und Frauen, die wissen, wovon sie reden, wenn sie einen in ihre Mitte nehmen: 'Sprich du wie wir, wenn du weißt, wovon du redest: "Denn wir vergeben allen, die uns schuldig sind!

Das ist viel mehr als auf Fortgegebenes, Verlorenes, Weggenommenes zu verzichten.

Es meint auch alles, was verloren war, bevor es angeeignet, bevor es gehabt worden ist, oder das, was nie geschenkt worden ist, worauf noch immer das Erwarten steht.

Und dennoch soll eine Stimme vom Vergeben sprechen, das alle angeht, die schuldig geworden sind. Von Herzen muss kommen, was mit den Worten allein nicht auszusagen ist. Eine Seele muss getröstet sein, um Vergebung ansagen zu können, wenn es nicht Heuchelei ist, die den schuldig Gewordenen etwas verspricht, ohne ihr Versprechen auch nur einem Schuldiggewordenen gegenüber eingelöst zu haben.

Erst muss Kraft empfangen werden, bevor sie wirken kann im Tätigwerden des Vergebens, das alle umfasst, die an 'uns schuldig' blieben. Es kommt die Zeit, wo zwar sichtbar ist, dass es Schuldiggewordene an einem 'Wir' gibt, wo es aber verborgen ist, dass dieses 'Wir' schuldig wäre, denen zu vergeben, von denen es glaubt, dass sie Schuld tragen.

Die Last wird weiter auf der Menschheit und ihren Völkern liegen, dass sie Gott verehren und auf ihn hoffen nach den Menschengeboten, die man als Gottesgebote sie lehrt. Die Erfahrung widerspricht der Aufgabe, wonach es einen Sinn haben kann, denen zu vergeben, die an einem schuldig geworden sind; aber das Wissen des Inneren kann nicht darauf verzichten, in der Erkenntnis des eigenen Schuldigwerdens andren ihre Schuld zu vergeben und ihnen die Schuld, die sie haben, abzunehmen.

Die Menschheit trägt in sich weiter, was einmal in ihren frühen Zeiten das Überleben ermöglichte, als Jagen und Töten zur Verteidigung und Sicherung ihres Bestandes nötig waren, als Zorn und Wut und Kampfeswillen das Böse, das einem ans Leben wollte, vernichten konnten. <Entrüste dich nicht Über die Bösen!> war der Rat, der denen galt, die als die 'Guten' den 'Bösen' gegenüberstanden, um selber nicht zu Bösen zu werden und doch dabei böse wurden.

<Steh ab vom Zorn und laß den Grimm, entrüste dich nicht, damit du nicht Unrecht tust!> wurde gewarnt. Aber es verband sich die Warnung mit dem Hinweis: <Habe deine Lust am Herrn, der wird dir geben, was dein Herz wünscht!> (Ps 37)

Es kann auch damals nicht Viele gegeben haben, die erhalten hatten, was ihr Herz sich wünschte.

Einzelne, von denen die Geschichten erzählten und ganze Völker waren den Versuchungen erlegen, wenn sie sich gereizt und heraus gefordert fühlten. Sie hatten mit gutem Gewissen nur getan, was sie mit den Raubtieren und den Menschen der frühen Zeit verband. Und Gott hatte auch das in seine Menschen hineingelegt, damit sie ihren Teil an der Welt gewinnen und behalten konnten.

Die Zeiten sind erst im Heraufdämmern, in denen ganze Völkergruppen versucht sind, alle, die ihnen zu nahe kommen, mit einem ungeheuren Aufbrennen von Zorn und Gewalttätigkeiten auszurotten. Und es sollte doch nur immer der Wahrung von Brot und Land, den eigenen Menschen und ihrem Dasein dienen. Alles geschieht, um sich selber zu bewahren und weiterzuleben. Jedoch das Böse, was ihnen angetan wurde, wird bei weitem überstiegen von dem Bösen, mit dem sie sich zur Wehr setzen und zurückschlagen.

In jedem Nahekommen, in jeder Berührung entsteht ein Drohen, das wie ein Geruch, wie eine Färbung um die Menschen ist und warnend zu den Andren dringt: 'Führe uns nicht in Versuchung! Es könnte etwas ausbrechen, was uns hinterher leid tun müsste.' 'Bring mich nicht in Versuchung!' sagen die Gesten, die Kleidung, die Zugehörigkeiten, die Blicke. In jeder Begrüßung, der großartigen wie der alltäglichen harmlosen, muss erst die Bedrohung beseitigt werden. Jesus hat nicht ohne Grund gewünscht, dass seine Leute sich begegnen könnten, ohne sich lange 'grüßen' zu müssen, solange sie auf dem Wege sind. Seine Mitmenschen haben gerade selber auf eine Kränkung, auf die Verletzung durch Andere, die ihnen kein Obdach geben wollten, mit dem Versuch geantwortet, Feuer vom Himmel fallen zu lassen, das die Andren, die sich zu widersetzen schienen, verzehren sollte.

Nach dem verheißungsvollen, dem gewissen Sprechen: <Denn auch wir vergeben!> kommt es wie ein verzweifeltes, ein flehentliches, ein sich ohnmächtig fühlendes Ersuchen. Nicht mehr auf Menschen richtet es sich, sondern an Gott: <Und führe uns nicht in Versuchung!>

'Und' heißt es. Es gehört das eine zum anderen.

Um die Vergebung der Sünden muss gebeten werden und die Vergebung der Schuld, die andre an einem haben, muss geleistet werden, eingedenk des Bösen, das verborgen ist oder auch nur schlummert und geweckt werden kann durch eine Herausforderung, welche die Kräfte und Mächte hervortreten lässt, die seit den ältesten Zeiten den Menschen zur Seite stehen.

<Erlöse uns!> lässt er nachsprechen. <Erlöse uns von dem Bösen!> Es ist nicht nur das Böse gemeint, was Menschen einander als Böses antun müssen und nicht das Üble, was das Leben ihnen antut. Es ist das Böse gemeint, von dem Menschen sich nicht wirklich lösen können; Gott nur kann lösen von dem, was Menschen böse werden lassen kann.

Gott nur kann lösen, der alles geschaffen hat; Menschen vermögen sich nicht zu lösen. Menschen können auch nicht wirklich sagen: 'Denn auch wir vergeben allen, die uns schuldig sind.' Schon dabei würde ihr Reden und Beten gegen sie zeugen, weil das Erinnern festhält an denen, die schuldig wurden, als das Böse überwältigend in ihnen aufstand und hervortrat.

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