Kapitel 11, Vers 1/3

Wenn ein Mensch des inne geworden ist, dass es ihn hungert und dürstet, dann spricht aus ihm die Stimme, die bitten kann: <Gib uns unser täglich Brot immerdar!>

Unser tägliches Brot! Mehr ist nicht an Bitte, an Wunsch, an Notwendigkeit, in Wirklichkeit, als das Eingestehen: Ich bin hungrig gewesen, ich bin durstig gewesen.' So vieles Andere war wie nichts gewesen, nicht anderes war so wichtig gewesen, so angefüllt mit Hunger und Durst, in diesem Augenblick, aus dem heraus es spricht: 'Unser täglich Brot immerdar!'

Die Zuversicht soll aus allem Beten und Bitten wachsen, dass für Leib und Seele 'Brot immerdar' gegeben wird. 'Unser Vater im Himmel' sagen. ihm ihre Stimmen nach. Und von dem Brot, von dem sie sich nähren, soll es auch so heißen: 'Unser Brot gib uns täglich!'

Einsicht spricht die Worte vor: 'Unser Brot - gib uns!' Sie sind ein 'Wir', die darum bitten, täglich, immerdar. Sie sind ein 'Wir', die Brot nötig haben, täglich, immerdar. Einigkeit soll sein unter allen, die darum bitten, dass ihnen gegeben wird, was sie notwendig brauchen, täglich, immerdar.

Einsicht muss den Worten nachsprechen, sorgfältig dabei bleibend, dass als 'Wir' gesprochen werden muss, wenn es ums Brot geht. Nicht alleine ums Brot bitten oder Nahrung einfordern soll das Leben. Das Leben teilen die Menschen miteinander. Ein 'und:' soll darauf folgen, das alles umgreift, woher das Brot kommt und auf die Hände sieht, die es geschaffen haben und es zugerichtet haben, dass es so weit ist, dass es zu täglichem Brot wurde.

<Und vergib uns!> soll der Bitte ums Brot folgen. Es kann das Bitten ums gemeinsame Brot nicht geben ohne die Bitte an den 'Vater im Himmel' um das Vergeben der Schuld, um die Vergebung der Sünde, die um der Bedürftigkeit willen, wegen der Notwendigkeit des Sich-Nährens auf allen Menschen liegt.

'Nimm uns unsere Schuld!' müssen alle sagen, die vorher ums tägliche Brot haben bitten müssen. 'Nimm von uns -!' als könnten sie etwas zu geben haben, das ein Anderer annehmen könnte aus ihren Händen, nachdem sie gerade erst um ein Erhalten gebeten hatten.

Aber das Eine, wonach das Bitten geht, muss keine Erfüllung finden und das Wegnehmen der Schuld und der Sünde findet vielleicht gar keine Möglichkeit in den Möglichkeiten der Welt. Als das Lebendige in die Welt kam, hatte es alle Möglichkeiten der Erfahrung, der Teilnahme mitbekommen; jedes Leben vermochte aufzunehmen, was in den Zeiten, die vor ihm waren, aufgebaut und gelebt worden ist. Aber fortwährend war auch die Schuld geblieben, die das Lebendige dem Leben schuldete, von dem es zehren musste. Aber jedes neue Leben widerstrebt und verweigert sich der Einsicht und dem Bekenntnis, dass es an der Schuld zu tragen hat, die von anderen aufgebaut worden ist und der Erhaltung des Daseins anhängt.

Selbst eine tiefgefühlte Schuldanerkenntnis verlangt danach, freigesprochen zu werden. Das Streben nach Schuldlosigkeit ist wie das Bedürfnis nach Essen und Trinken, das einem niemand streitig macht oder nach einem Schlaf, der von andren nicht bedroht wird.

Aber die lebenerhaltenden Tätigkeiten als schuldlose oder wenigstens als unschuldige Tätigkeiten sind verbunden mit Neid und Missgunst dem gegenüber, was die Anderen haben, tun können und wie sie vor ihren Mitmenschen dastehen und vor Gott erscheinen. Dem Neid verbunden ist die Angst, nicht genug an Rang und Besitz als Eigen zu haben, das vor Entbehrung, Not und Einsamkeit schützt. Im Hintergrund aller Sicherheit des Habens lauert der Verdacht, dass die Nahrung, die einen selber nährt, einem Nebenmenschen entzogen wird, dass ein Leben auf Kosten der Lebendigkeit anderen Lebens sein Leben hat. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist deshalb so wichtig, weil nur dort ohne Schuldvorwurf der Genuss des gemeinsamen Brotes gewährleistet ist.

Es kann niemand richtig leben, wenn sein Essen und Trinken, sein Schlafen und Wohnen, seine Erhaltung und das Verlangen nach Erfüllung eines Lebenssinnes durch die Anschuldigung, sein Leben zu haben, während andere dafür entbehrten, litten, sogar starben, beeinträchtigt wird. Um 'unser Brot', um das Land, auf dem es wächst, von dem es eingebracht wird, geht der immerwährende Streit, die Missgunst, der Neid, die Angst, nicht genug zu erhalten. 'Das ist unser Land, das ist unser Brot!' sagen alle Tätigkeiten. Immer ist ein Zugreifen, ein Verzehren von dem, was einem gehört oder auch nicht gehört. 'Nimm dir dein Brot!' sagen die einen, und auch alles, was dazu gehört.

'Bitte!' 'Gib uns Brot!' müssen die Andren sagen und darauf warten, dass ihnen gegeben wird. Es ist ein Ausdruck des Bedürfens, das durch nichts anderes zu ersetzen ist.

Von Anfang an, vom ersten Atemzug an braucht es Trinken, Essen, Wärme; das kleine Lebendige will Schutz und trägt in sich die Notwendigkeit, dass jemand da ist, der zu ihm spricht und auf es sieht. Ganz ohne Schuld zehrt das Leben vom Leben, ganz ohne Schuld ist das Gefühl des schuldlosen und unschuldigen Essens und Verzehrens.

Die Bitte ums tägliche Brot entspringt der Forderung, die seit dem Ursprung des Lebens das Lebende an das Leben hat, das mit ihm in der Welt ist.

Jesus hat gewusst, wovon er spricht, als er dem Bedürfen die Worte gibt. Aus der Forderung, Brot zu haben, die wie die Forderung ist, den Atem zu haben und Raum um sich zu erleben, ist ein Bitten geworden, das sich einem Wissen ergibt, das Gottes ist.

Das Leben selber gibt sich dafür her, fortwährend anderes Leben zu tragen, Leben zu erhalten, auch wenn anderes Leben dabei verdirbt. Die Hand greift nach dem Brot. Und eine Stimme spricht: "Und vergib uns unsre Schuld."

Schuld tragen die Menschen, weil sie an einem Leben teilhaben, das durch die Zeiten schuldig geworden ist, Schuld tragen die vielen kleinen Ich's, die selber vielleicht nie schuldig geworden sind. Schuldig sind die Menschen vor dem Anspruch ihres Lebens, dem die Wirklichkeit ihres Daseins nicht genügt. Schuld tragen sie alle, deren Frucht nicht vollkommen wurde, die auf dem Acker ihres Lebens wuchs.

An einer Schuld trägt einer, der selber schuldlos geblieben ist und diejenigen, die mit ihm gehen, bittet, mit ihm zu sagen: "Und vergib uns unsre Sünden!"

Die, die wirklich schuldig sind, begreifen sich selber nicht als schuldig, weil sie eine Schuld nicht tragen könnten, die Sünde vor Gott ist.

Noch sind die Worte frisch, kennen noch nicht die Abnutzung durch Gewohnheit und häufigen Gebrauch. Ernst meinen es die Worte. "Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen - !" Noch wollen die Herzen Gott lieben. Immer wird einer fragen nach der Liebe, die von ganzer Seele erbracht wird und mit ganzer Kraft geleistet und getragen wird.

Gott ließ in der Vergangenheit seine Worte aufleuchten, war denen schon entgegengekommen, die am Erreichen der Ganzheit ihrer Seele zweifelten, wenn er zusagte, bei denen wohnen zu wollen, die <zerschlagenen und demütigen Geistes sind.> Der Geist von Gedemütigten und das Herz von Zerschlagenen wird wieder die Worte haben, die dem Gotteswort antworten können. Nicht die Worte werden reden, sondern von Herzen kommt die Erkenntnis, an der die Seele und das Gemüt tragen, wenn der Ernst sagt: 'Wir bitten um Brot und erkennen die Schuld, die wir haben an unsren Nächsten, am Leben und an uns selber!'

'Wir sind schuldig und tragen an der Sünde vor Gott und bitten zugleich, dass Gott geben soll nicht nur das Brot, sondern auch die Vergebung aller Sünde.'

Mit allem Ernst kann das Leben nicht so von sich denken, sich selber so begreifen. Ein Ich muss sich selber verleugnen in seinem Anspruch auf Unversehrtheit, wenn es zugeben müsste, an einer Schuld zu tragen. Es muss die Schuld leugnen, an der ein Ich allein nicht schuldig ist und die es auch mit vielen andren nicht auf sich nehmen will.

Aber Jesus legt ihnen auf: Wenn ihr betet, so sprecht: 'Und vergib uns unsre Sünden!'

Nicht mehr zu Menschen sollen sie sich wenden, wenn es um das Brot geht. Gott sollen sie bitten, dass er Brot gibt, täglich. Ihre Nächsten sollen sie lieben, die von Menschen nichts mehr zu hoffen haben und deren Bitten ins Leere gehen. In allem, was dem Nächsten getan wird, können sie auch für sich selber etwas tun, in der Zuwendung zum Anderen auch ein Stück sich selber lieben dürfen. Um Vergebung bitten sie und haben die Vergebung von Menschen nötig in der Erwartung, dass sich ein Nächster findet, wenn sie jemanden brauchen, der sich ihrer Not annimmt und das Notwendige gibt, was jeder braucht.

Ein Versprechen entringt sich dem Beten, das seine Worte nachspricht : <Denn auch wir vergeben allen, die uns schuldig sind!> 'Denn auch wir vergeben!' ist die Botschaft, die von ihrem Beten ausgeht. Verheißung tragen sie, denen die Sünden vergeben sind: 'Allen vergeben wir, die an uns schuldig geworden sind!' Gott vergibt die Sünden denen, die ihn darum bitten, denn auch seine Menschen sind fähig, Schuld zu vergeben.

Deshalb können sie Gott um die Vergebung auch ihrer Sünden bitten.

Mit diesem: 'Denn wir vergeben allen!' kehrt jeder aus seinem Beten zurück, wenn die Felder jener Kraft berührt worden sind, aus denen die Vergebung der Sünden wächst und das Begreifen, was einer dem Anderen schuldig ist.

Es gibt keine Opfer mehr, die für die Schuld, die für die Sünden gebracht werden müssen. Was seine Nachfolger zu geben haben und denen mitteilen wollen, die es nötig haben, ist das Vergeben von Schuld.

Vielleicht trägt manches Leben mehr als anderes an einer Schuld, die nicht mehr gutzumachen ist. Manches Leben bleibt für immer etwas schuldig, weil die Schuld nicht mehr abzutragen ist in einem ganzen Menschenleben. Ein vergehendes Leben hatte gebetet, dass Gott einem nun für immer fern und fremd bleibenden Leben mitteilen möchte, dass eine Schuld vergeben ist, die ein Leben hat, weil es nicht sein Nächster bleiben konnte.

Wenn Jesus einmal gehen wird und lassen muss, die für ihn die Nächsten waren, dann soll auch davon gelten, dass ihm die Schuld genommen wird, weil er sie alleine ließ und er auch denen vergeben kann, die an ihm schuldig wurden.

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