Kapitel 1, Vers 21/2

Ein Schein war von dem Gesicht ausgegangen, das Mose verhüllte, als er vom Berge kam, damals, in der Zeit, als sie wahrnahmen, was geschehen konnte und davon erzählten, als Menschen, die dem Worte der Erzählung glaubten und die vielen Geschichten weitergaben, die von denen erzählt wurden, die ‚danach’ kamen und sich anrühren ließen vom Erleben ihrer Vorfahren.

Nachdem die Erfahrung geschwunden ist, er wortlos fortging, ermüdet, wieder nur auf dem Weg zu einem zaghaften Heimkehren, die Augen niedergeschlagen vor denen, die entgegenkommen und die ihm nachsehen, dringt es in sein Bewusstsein, formt sich, bis er begreift, daß er eben noch aufgewacht war aus dem, was der ‚Schlaf’ genannt wurde, wenn es überhaupt benannt wurde. Von einem Schlaf war die Rede, in den die Wachheit versank: <Denn der Herr hat über euch einen Geist des tiefen Schlafes ausgegossen und eure Augen zugetan.> (Jes 29.9-10)

Aus einer versunkenen Geschichte anrührend, kommen die Worte, lauten mit schwingendem Klang, verhüllen, erinnern an verlorene Lieder - wie am Abend, wenn es still geworden ist, draußen über dem schweigenden Land - wenn von ferne ein Vogellaut noch mit dem fallenden Nachtwind kam - wenn da eine Stimme sagte: „Da - ließ Gott, der Herr des Tages, der Nacht, der Herr im Garten des Anfanges, einen tiefen Schlaf fallen - auf den Menschen - und er schlief ein -„. Er schlief ein - der Mensch damals - ganz alleine - hörte eine Stimme sprechen - auf der Grenze vom Tag zur Nacht - im Einschlafen - in einem tiefen Schlaf versinkend.

Bis zum ersten Male sich der Sinn erhob (Gen 2.21) und der Wortsinn sich erschloss über diesen tiefen Schlaf, sind viele Zeiten vergangen - und immer war hineingebettet das Leben und Atmen in einen Leib, fand Ruhe, auch wenn ein Rufen ohne Antwort, eine Bitte ohne Gehör, ein Flehen ohne Berührung bleiben musste - etwas von dem tiefen Schlaf ist dann geblieben allen Menschen, im Guten und im Bösen, nach allem, was der Tag des Erwachens gebracht hatte. Schmerzen und Wunden wurden verschlafen - der tiefe Schlaf nimmt einen wie die aufsteigende Nacht in ihre Arme.

Bilder und Gedanken holen ihn ein, endlich. Er wird nicht weitergehen müssen auf den erschöpften Menschenwegen.

Von außen, von ferne ist der Tempel immer noch wunderbar anzusehen. Aber er erhält sein Wunderbares durch die Augen, in welchen er sich darstellt, welche ihn ansehen und ihn in seinem Wunder herstellen. Menschen hatten ihn errichtet und Menschen hatten ihn zerstört und hatten wieder Mauern aufgerichtet, damit das Geheimnis einen Raum fände.

Mit dem Licht der engelhaften Erscheinung ist auch die Macht geschwunden, die vorher an diesen Mauern gehangen hatte. Zu sehen sind nun die Hoffnungen und heimlichen Erwartungen, die in diesen Tempel verbaut worden sind und erkennbar werden die ungeheuren Energien, die Menschen fähig sind in ihre Werke zu entäußern.

Was aber haben sie davon zurückerhalten? Hatten die Mauern ihnen das Echo ihrer Stimmen, ihrer Klagen und Gebete zurückgeworfen? Hatten sich in den Worten der Gebete, die den feierlichen und erlernten Lauten ihren Zauber verliehen und den Erwartungen, die auf ein Äußeres an Vorstellung und Andacht hinzielten, den Schimmer kindlicher Freude und Nicht-Verzicht der Herzenswünsche gegeben hatten, die Erfüllungen eingestellt? Oder waren sie nur wie Musik geblieben?

Alle waren unter der Finsternis und im Schatten des Todes geblieben, obwohl sie die Tore durchschritten, den Tempelbereich betraten, gewahr der Gegenstände, der Gefäße und der Zeichen, die im Dämmer schimmern, tastend nach Bedeutungen, die im Dunkel bleiben, und Worte flüsternd, den Körper wiegend in ihrem Fluss und Handlungen verrichtend, die dem Dunkel galten, aus dem kein Licht einem wird: Und dabei gewahr des innersten Raumes von allen Räumen, aus dem kein Licht hervortritt, in das kein Licht hineinfallen kann: der Raum, in dem es sich verbirgt, das, was heilig ist.

Verborgen ist es gewesen, niemandem zugänglich als nur einem, der in feierlichem Tun, für ein einziges Mal im Jahr, im Leben, es stellvertretend für alle tut. Auf ihn sah man hin, weil er allein dorthin gelangen konnte, wohin die andren nie gelangten. Aber die Erwartung kommt dem entgegen, der aus dem innersten Raum hervortritt und den Mitmenschen Segen verleiht.

Viele haben an diesen Hoffnungen getragen und brauchten die Priester; alle haben nach einem wirklichen Menschen Ausschau gehalten, der sie erlösen würde, ein Gesandter wäre, von dem die überlieferten Geschichten reden.

Heilung von Wunden und von Schmerzen soll er bringen, die das Leben nicht lindern, nicht heilen und auch nicht verkraften kann, selbst wenn der tiefe Schlaf alles zudeckt, alles umschließt, was durch Klagen, Weinen und Entbehren nicht mehr gutzumachen ist.

Jetzt, in ihrer Zeit, geht es ihnen, wie es den Priestern ergangen ist, die im Herzen geheuchelt haben, haben heucheln müssen, weil sie die Hoffnungen begraben haben und nicht bestanden vor dem Dunkel, das von drinnen rief.

Aber immer wieder hatte der Priester gehandelt nach den alten Weisungen zum Gedenken an die Kinder Israels. Darauf achtend, dass niemand verloren gehe, gab es immer einen, der ihre Namen als Last auf beiden Schultern trug. Sie waren vergangen, die mit den Namen und die anderen alle und hatten doch darauf gewartet, dass nach ihnen eine Stimme gerufen hätte: die Stimme, auf die sie im Innersten gewartet hatten, dass sie sie heim rufen würde. Wie Gott, wenn es erst Abend geworden ist, am Ende von allem, rufen müsste: <’Kommt! Kommt wieder, Menschenkinder!’> und ein Echo der vielen lauten Stimmen an Sommerabenden über den Gassen und Plätzen, den Wiesen und den Gärten, oder still verhangen im Regen oder im Winterdunkel antworten könnte auf die Stimme, die einen hätte rufen sollen, hätte rufen müssen.

Ein Gehör war da für das leise Klagen, das Rufen, das nicht mehr war als ein Schlagen des Pulses in der Kehle. Ihre Namen waren nicht verloren, lebten in den Geschichten fort, die sie erzählten, die, die nach ihnen kamen und auch auf dem Weg gegangen sind, sie alle mit den Namen, die einer auf der Schulter tragen musste, damit am Ende keiner fehlen sollte in der langen Reihe. Jetzt war wieder die Zeit, um nachzusehen, ob von den Steinen auch keiner fehlte, der zum Zählen nötig war.

Es wollte auch in Zacharias nach einem mit dem Namen rufen, der nur einem alleine gelten sollte: Als ein Versprechen, als Verheißung und als Drohung, damit der Träger des Namens die Antwort nicht schuldig bleibe. Er durfte jedoch den Namen des Rufens, den Namen, nach dem ihm die Erwartung geht, nicht laut werden lassen, außer in seinem Inneren. Kein Benennen, kein Widerstand soll das Werden stören.

Erwartungen und Hoffnungen bauten sich in den Zeiten auf, die hinter ihnen liegen und bauen sich zu einer Welle von Erwartungen auf, die auf den Verheißenen zukommen.

Die Erinnerung an die Ursprünge ihrer Geschichte, an die Anfänge in der Wildnis ist immer noch erhalten, ist nie verlorengegangen.

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