Kapitel 1, Vers 8/1

<Und> steht da, <da er des Priesteramtes waltete vor Gott>. Ein „- und“ weist hin auf das, was vorher war.

In überlieferter Weise handelnd, steht ein alter Priester am Altar. Sein Leben lang vollzog er das Ritual, uralte Tätigkeit wiederholend, die schon lange nicht mehr bewusstseinsträchtig ist. Andere Ordnungen sind eingebildet worden, haben sakrale Bedeutung auf sich gezogen. Aber Gebote und Satzungen halten sich, die alten Anordnungen sind geblieben und stehen gegen die Ordnungen, die das tägliche Dasein regeln und erhalten.

Von weither aus der Vergangenheit kamen die Satzungen und Gebote und Verbote. Noch steht der Tempel, welcher der Einzigartigkeit eines andren Tempels gleichen soll. Niemand muss an seiner Dauerhaftigkeit zweifeln. Aber Wenige sehen noch hinein in die Wirklichkeit, der auch dieser Bau entstammt mitsamt den Gebräuchen, Satzungen, den Liedern und Geschichten und den Menschen, die ihm dienten.

Längst haben andere das Wort ergriffen. Der Grund, aus dem das alles einmal kam, ist dunkel geworden und hat sich verschlossen oder ist zu dieser Zeit tot.

<Sie waren aber alle beide fromm - vor Gott>. Untadelig waren sie. Aber nichts sollten sie davon haben, weil sie einem unfruchtbaren Boden dienten, der nichts mehr hergeben wollte an Leben zum Leben. Ein ‚ u n d ‚ tritt wieder an die Stelle, da der Leere und der Vergeblichkeit eines langen und guten Lebens gedacht werden muss. Nichts wird gesagt außer: < - und sie hatten kein Kind.>

Oft hat es heimlich gesprochen: <Siehe, das sind die Gottlosen! Die sind glücklich in der Welt und werden reich.> Oft hat es verborgen gefragt: <Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt? Hätte ich gedacht. ‚Ich will reden wie sie’ - dann hätte ich das Geschlecht deiner Kinder verleugnet!>

Die Kinder der Andren füllen die Erde; sind denn alle gottlos? Er würde nicht das Geschlecht der Kinder Gottes verleugnen. Aber ein Wandeln in ‚Geboten und Satzungen’ wirkte keine Fruchtbarkeit. David, der den Engel Gottes sehen konnte, ist nicht fruchtlos geblieben. Sein letzter Sohn ließ den Tempel bauen. David vermochte den Engel zu sehen, der zwischen Himmel und Erde stand und sein Schwert ausreckte über Jerusalem. Feuer war herabgefallen auf einen Altar und auf sein Opfer und der Engel warf sein Schwert zurück in die Scheide.

Der Sohn des Mannes, der den Engel gesehen hatte, der baute dem Namen Gottes ein Haus. Die Vielen, die damals Hand anlegen mussten, sind vergessen. Viel Blut war vergossen worden, viele Kinder waren verloren worden, auch Kinder Davids. Aber Gott hatte ihm sagen lassen: <Ich will sein Vater sein und er soll mein Sohn sein.> Das Haus ‚für Gott’ wurde gebaut. Der Name des Sohnes dieses David blieb am Bau hängen und war ein Zeichen dafür, dass der Engel das Schwert, das schon entblößte, zurückwarf in die Scheide. (1. Chron 22)

Ein priesterlicher Mann verrichtet seinen Dienst im Heiligtum, geprägt von Ordnungen, die viel älter sind als dieser Bau. Feuer fällt nicht mehr vom Himmel. Und wenn ein Engel das drohende glühende Schwert über das Land halten würde, so sähe es jetzt niemand mehr. Die Opferfeuer qualmen und brennen. Wenn diese Feuer brennen, erwecken sie Erinnerungen an die frühesten Feuer, welche die Menschheit entzündete - und der Schutz, den sie gewährten, wird noch empfunden - für eine kleine Weile. Um die Flamme ist noch Heimat - oder brennt woanders schon die Flamme, die alles hier verzehren wird? Niemand sieht den Engel, der über der Stadt und dem Land steht. Niemand würde hören, wenn Gott sagte: ‚Es soll ein Kind sein, dem ich der Vater bin und dessen Leben gekrönt werden soll vom Bau eines Gotteshauses!’

Das Opferfeuer gewährt Schutz, aber die Flamme im Tempel verzehrt, was hineingegeben wird. Im Rauche zieht zum Himmel hin, was einmal zur Erde gehörte. Im Opfer ist eine Bedeutung verborgen, die nicht in Worte gefasst wird.

Nach dem Brauchtum bringt Zacharias Oper dar. Glut wird zu Rauch, Rauch steigt auf - aber nur am Lebendigen kann sich Leben entzünden.

In den Worten der Vergangenen verbirgt sich die eigene Klage: Denn einmal sprach das Erkennen. <Wir können dem Lande nicht helfen, und Bewohner des Erdkreises können nicht geboren werden.> (Jes 26,17-18 )

Der Priester fühlt den Schatten eines Endens. Niemand gedenkt mehr der Hände, die am Tempel arbeiteten, der den Namen eines Sohnes herrlich machte. Namenlose verrichteten nach den aufgegebenen Ordnungen den Dienst am Tempel, am Opfer und am Gebet.

Das Ritual schützte sie vor der Erfahrung der Nähe Gottes, Priester machten die Nähe Gottes begreiflich, ohne sich doch der Gefährdung durch die Nähe auszusetzen.

Irgendwann auf dem langen Weg, den sie gegangen waren, kam der Tag, da die Menschen es nicht mehr ertrugen, dass sie das leuchtende Feuer sahen, in dem Gott ihnen nahe kam; sie konnten das Licht nicht länger ertragen, das sie an die Grenze führte, hinter der Gott nach ihnen greifen konnte: <Das Feuer des Herrn loderte auf unter ihnen und fraß am Rande des Lagers. Da schrie das Volk zu Mose und Mose bat den Herrn. Da verschwand das Feuer.> (4. Mose 11)

Eine geschichtliche Entscheidung ist getroffen worden, damals, als es hieß: <Ich will hinfort nicht mehr hören die Stimme meines Gottes - und dies große Feuer nicht mehr sehen!> Gegen die Erfahrung sprach die Furcht: < - damit ich nicht sterbe!> (5.Mose 18) Zur Überlieferung geronnene Erzählung ist das, was die Abwendung ausmachte.

Der Mann mit seinen Jahren der Erinnerungen und zu Staub gewordenen Erwartungen steht und verrichtet die Handlungen, die der Aufrechterhaltung der Ordnung dienen. Aber er wird Gott keinen Ort schaffen, wo seine Macht sich auswirkt.

Die Daseinsvollzüge sind darüber hingegangen, über die armen alten Rituale und über die Erfahrungen, auf die ihr Tun sich gründete.

Andere Ordnungen haben sich ringsum gefestigt. Nur noch gleichnishaft vermittelt die religiöse Kultur einen Zugang zur Gottesmitteilung. Aber die Gewissheit eines Glaubenden wird sich immer wieder gegen die Anerkennungsforderungen einer sakralen Stellvertretung der <Stimme Gottes> richten. Ein Einzelner vermag sich jedoch nicht auszuweisen gegenüber denen, die den Auftrag haben, dem Volk <das Feuer> fernzuhalten und es trotzdem der Nähe ihres Gottes zu versichern.

Der Priester handelt im Auftrag und unter den Erwartungen des Volkes, vollzieht als vergänglicher Mensch Handlungen, die seine Seele leer lassen. Er ist nicht anders als die vielen Andren, für die er handelt und soll doch für die Bedeutung der heiligen Handlung einstehen, zur Schau stellen, was schon an seinem inneren Verfall leiden müsste.

Auf den Wegen der Geschichte war Gott noch den Hörenden und Sehenden nahe. Gott sprach: <Ist jemand unter euch ein Prophet des Herrn, dem will ich mich kundmachen in Gesichten oder will mit ihm reden in Träumen.> Über Mose jedoch lautete das Gotteswort: <Aber so steht es nicht mit meinem Knecht Mose: Ihm ist mein ganzes Haus anvertraut. Von Mund zu Mund rede ich mit ihm, nicht durch dunkle Worte oder Gleichnisse, und er sieht den Herrn in seiner Gestalt.> (4. Mose 12)

Nicht durch dunkle Worte oder Gleichnisse vermittelte sich die Botschaft Gottes; es war ein Reden und Hören und ein Sehen gewesen - vor langen Zeiten.

Der Tempelbereich grenzt aus, hält die Bewegungen fern, die als politische und wirtschaftliche Mächte Israel zu einem Restbereich werden ließen. Herodes gibt der Zeit seinen Namen, sein Schatten fällt auch auf den Tempel. Aber über ihm gelten andere Namen, die über Zeit und Räumen sind.

Was bedeutet die Entscheidung längst Vergangener, das Feuer Gottes nicht mehr sehen zu wollen, da das Gefühl sich verbreitet, dass andre nach dem Lande greifen, auf dem sie selber leben. Von Grund auf anders wird sich die Lebendigkeit, die in ihren Überlieferungen enthalten ist, aufbauen müssen. Andere Menschen werden sein müssen, wenn die Drohungen, die aus den geschichtlichen Horizonten auf sie zukommen, ihre Antworten fordern.

Nur ein Diener in hergebrachter Ordnung ist Zacharias, das, was er vollbringt, ist nicht seine Antwort.

Das Land, das ihm sein Leben ist, ist unfruchtbar. Es hat sich ihnen versagt, oder, in Elisabeth, der Frau „von den Töchtern Aarons“, verweigert das Wissen um ein: „Es wird kommen ein Tag“, dass einem Kinde Raum gegeben wird, der ihm doch kein Bleiben sichern wird.

Mit: <Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast!> war damals der Auftrag ergangen und gemeint war ein Volk in seiner Hilflosigkeit und in der Ausweglosigkeit. (4.Mose 11,12) Er, als ein kleiner Priester, er würde ein Kind tragen wollen in einem Land, das den Vätern versprochen war, aber nicht mehr ihren Kindern sicher ist. Was ein andrer lange vor ihm sprach, das ist in einem Teil seines Gehirns ein immer wiederholter Zweifel: <Warum bekümmerst du deinen Knecht? Warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren? Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer!>

Der Sprecher der alten Worte war als Kind ausgesetzt worden - weil Menschen ihm und vielen anderen das Leben nicht zugestanden. Dem alten Mann und Priester ist klar, dass noch einmal einer das Volk tragen muss und schwer zu tragen haben würde daran. Selber hat er noch nicht einmal ein Kind zu tragen gehabt. Ein geschichtlich wirkendes Antworten muss noch einmal im menschlichen Leben zur Gestalt werden.

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