Kapitel 18, Vers 18/1

Mit einem 'und' geht die Geschichte weiter. Und ein Oberster stellt daraufhin die Frage: <'Was muß i c h tun?'>

Oder: 'Was m u ß ich tun - damit ich auch das ewige Leben erbe'? Lächelnd hat er vielleicht zugesehen, wie Jesus die Kinder segnete. Den 'guten Meister' schiebt er vorneweg.

Der 'gute Meister' fragt schlicht zurück. 'Warum?'

Im achtungsvollen Wort der Begrüßung und der fordernden Anrede kommt die verborgene Mißbilligung zum Vorschein. 'Was soll einer wie ich wohl tun müssen. Er kann nicht im Ernst erwarten, daß ich mich auf mein Kindsein ansprechen lasse!' 'Güter Meister!' sagt der Oberste etwas von oben herab. Er hat sein Gegenüber damit erhöht und ihm einen Rang zugeteilt, was zugleich wie eine Zurechtweisung wirkt. Die Grenzen sind abgesteckt. Es könnte ihm jemand zu nahe kommen.

Alle Leute sagen: 'Herr!' 'Meister!', bieten Titel der Verehrung und der Furcht, denn diese Anderen können einem etwas antun, wenn sie ihr Erhöhtsein nicht anerkannt fühlen, sie können zurückschlagen, wenn jemand ihnen zu nahe tritt, weisen Bitten zurück. Nicht jeder kann fordern, gebieten oder ein Geschäft anbieten, damit man zu seinem Recht kommt. Wer bitte! sagen muß und zur richtigen Anrede gezwungen ist, ist schlimm dran.

Jesus entgegnet, fordert nicht, wehrt nicht, nimmt nur vorweg, was am Ende herauskommt: 'Niemand ist gut, ich selber nicht, die Meister nicht, der Herr ihm gegenüber auch nicht.' Aber die Gelegenheit wird ihm gegeben, sein Gutsein zu erweisen, worauf er antworten kann: <'Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf!'> 'Das alles!' und er meint damit die Bürde an Gesetzen, Regeln, Bräuchen, die einem wie ihm auferlegt ist und die er trägt, wie andre ihre Lasten tragen, die Knechte, die Arbeiter, alle die kleinen Leute und darunter stöhnen und seufzen, während er zwar auch trägt, aber mit Anstand und scheinbar mühelos. Ganz andre Lasten an Verantwortung, an Pflichten und Entscheidungen sind ihm auferlegt. Allerdings auch Rechte und Ehren und Möglichkeiten des Handelns, welche die andren nie kennen werden und nie haben können.

Jesus nimmt die innere Stimmung des Andren wahr und tut wie ein Arzt, der innerlich überschlägt, was es mit dem Gehörten auf sich hat. Dann sagt er, zu einem Ergebnis seines Nachdenkens kommend: <'Es fehlt dir noch eins!'>

Eins fehlt, obwohl sonst alles vorhanden ist, eins, was nicht zu erben ist, was nicht erworben werden kann, weil es niemand hat und auch nicht von irgendwem zu übernehmen ist.

Reich und jung war der Mann, von dem Matthäus (Mt 18) erzählt, noch nicht ganz so festgelegt, und beides ist glaubwürdig, das von dem Hochgestellten, dessen Stellung unter den Menschen das Gefühl des Mangels im Zusammenhang der Gemeinsamkeit übrig läßt und den Zwang zur Rechtfertigung auferlegt und dem jungen Reichen, dem noch etwas fehlt, um wirklich reich zu sein, nicht in den Augen andrer, aber in seinen eigenen, und gelernt hatte, immer nach einem: 'Was noch?' zu fragen.

'Was fehlt denn nun noch, was muß ich noch tun, um etwas zu erreichen, damit ich anerkannt werde, damit die Andren zufrieden sind mit mir, ich an dem Platz stehen darf, der mir zukommt?'

Um ein Herr zu sein, ist die Erfüllung eines ganzen Programms nötig, Erziehung des äußeren und und Formung des 'inwendigen' Menschen. Er darf nicht so werden wollen 'wie alle Menschen', er muß über Härte, über kalkulierbare Zugriffs- und Aneignungsfähigkeiten verfügen, braucht aber keine soziale Existenz zu leben, denn ihm ist alles vorgegeben. Die Welt ist für ihn schon eingerichtet, das Muster der Auserwähltheit trägt er in sich. Die Welt der andren trägt, schützt ihn, festigt und macht etwas aus ihm.

Seine Bevorzugung erscheint ihm als natürlich. Und alles scheint zu geschehen ohne die 'Schmerzen seines Gewordenseins'.

Aber er trägt auch an einer Last, aber diese Last ist ihm das Leben. Wohin ginge seine Kraft, müßte sie nicht an dieser Last tragen? Beschämung kennt er nicht, denn er ist niemandem etwas schuldig, außer den Vorbildern seines Standes natürlich. Seine Lebensmuster sind vorbereitet und bewährt. Ihm muß niemand die Gebote vorhalten. Selbstverständlich wird in seinem Stande und in seinen Kreisen nicht gestohlen, nicht gemordet, selbst notwendig werdendes fälschendes Zeugnis ist rechtlich abgesichert. Die Werkzeuge und Waffen des Rechtes werden richtig eingesetzt.

Die Leute, die unter ihm sind, glauben, daß Menschen seiner Art große Lasten zu tragen haben, obwohl ihr eigenes Dasein die größeren Lasten trägt, auch wenn es ihnen nicht klar ist.

Seine soziale Rolle deckt sein Inwendiges ab gegen den Blick von außen, wie sein ganzes Dasein geschützt ist gegen die möglichen Anfragen, welche aus einem fremden andersartigen Bereich des Lebens kommen können. Er hat sich eingelassen auf ein Gespräch mit diesem Vertreter einer scheinbar bekannten, aber doch fremden Welt anderer Erfahrungen, ihm nicht zugänglichen Wissens und Erkennens: da ist jemand auf Wegen gegangen, die er nie gehen könnte, da hat jemand Grenzen überschritten, an die er selber nie rühren würde. Auf die Kindlichkeit, die andere in ihr Erwachsenendasein mitnehmen, hat er schon lange verzichtet, und er läßt auch nicht zu, daß noch einmal daran gerührt wird, daß noch einmal hochkommt, was ihn seitdem angetrieben hat, bis aus ihm ein großer Mann geworden ist.

Er verfügt über seine Welt wie über sein Inneres. Er hat von Kindesbeinen an gelernt, sich auszurichten nach allem, was verlangt wurde, durch Vater, Mutter, die Familie, die Welt der Vornehmen und Reichen, durch die Überlieferung.

Der 'Meister' kann ja nichts wissen von Tradition, von der Ausstattung, die ihm zu Gebote steht und von den Praktiken, sich die Herrschaft über andere zu sichern und mithalten zu können im Ringen um den Wohlstand, der auch nicht einfach zu erben ist, wie vielleicht das 'ewige Leben'. Jesus ist nicht gerade belohnt worden durch die Wirksamkeit zahlreicher Entschädigungen, die seine Umwelt und Mitwelt ihm zuteil werden ließ.

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