Ein Neues wird wachsen. Nicht wird ein Neues einem alten, schon vergehenden Leben hinzugefügt, um die alten Wunden zu heilen oder die alten Schäden zu verbergen.
Es heißt: ‚Las das alte Gewand, mit dem du bisher gekleidet warst.’ Die Wahl wird zugunsten des neuen Gewandes entschieden, denn <niemand reißt einen Lappen von einem neuen Kleid und flickt ihn auf ein altes Kleid!> Dazu ist es nicht gegeben, daß damit das alte Gewand gebessert wird, indem man sich die Flicken davon nimmt, um ein altes Gewand weiter zu tragen.
Die einmal seine Jünger sein wollen, werden seine Worte begreifen müssen oder weiter ihre alten Gewänder tragen und nur die Schäden und Risse ausbessern mit den Fetzen, die sie sich vom neuen Gewand geholt haben. Hier spricht ein Prophet, aber niemand versteht, wovon er spricht.
<Niemand reißt einen Lappen von einem neuen Kleid und flickt ihn auf ein altes Kleid.> Natürlich tut es niemand im Alltag; aber was natürlich geschieht im Alltag, das ist nicht so leicht zu übertragen in die Welt der Regeln und Gesetze, von denen das Dasein beherrscht wird. Jesus hat damals den Zwiespalt bemerkt, unter dem sie standen. Im Gleichnis, vor der Wahl zwischen einem alten und einem neuen Kleid, gibt es keine Wahl.
Sie dachten nicht an die Gewänder, in die sich ihre Zeit und ihr Leben einkleidete und spüren nicht, wie diese Gewänder veralteten, verschlissen worden sind und brüchig sind zu ihrer Zeit. Die Erfahrung sagt, daß ein Neues immer zu einem Alten wurde; ratsam ist, aus dem Neuen nur so viel herauszuholen, daß es genügt, die Schäden der Welt, wie sie ist, zu flicken und dabei zu bleiben, das Gewand der alten Ordnung zu tragen, selbst wenn nicht mehr lange halten kann.
Das ‚Neue’ ist nie so beschaffen, daß es nicht bald wieder zum ‚Alten’ geworden wäre. Es fällt schwer, ein altes Gewand abzustreifen, wenn es dabei um alte Gewohnheiten und Ordnungen und Verhalten geht. Und um den Glauben und das Gewand, in das dieser eingekleidet ist. Man darf dem nicht trauen, was wachsen will. Man darf der Saat nicht trauen, bis das, was als Frucht herauswächst, gereift, geerntet und eingebracht ist.
Es kann leicht einer so reden, als sei er Teilnehmer eines hochzeitlichen Geschehens und hätte seine Freude daran, wenn viele andere an seinem Fest teilnehmen. Aber immer wieder brechen Menschen zu einer ‚Hohen Zeit’ auf und haben dann schwer an dem Leid zu tragen, was aus dem Anbruch der ‚Neuen Zeit’ hervorgewachsen ist.
Zu allen Zeiten tobt der Streit der Gewänder, mit denen sich eine Menschheit in der Nacht ihres Daseins zu kleiden sucht und Flecken vom neuen Gewande reißt, um alte Risse und Löcher in ihren alten Gewändern zu flicken.
Ein Bild trägt nicht das, was er ihnen sagen will, als er an ihre Erfahrung der Alltäglichkeit wie auch an ihre Vorsicht erinnert. <Und niemand füllt jungen Wein in alte Schläuche!> Viele von ihnen mussten doch einmal ‚junger Wein’ gewesen sein und waren nicht in neue Schläuche gefüllt worden. Viele hatten ihre Schläuche zerrissen, die ihnen eine Form hätten sein können, und verronnen war, was ein Leben hätte erfüllen müssen. Andere hatten ihre haltenden Schläuche nicht zerreißen können, aber ‚ein neuer Wein’ war nicht daraus geworden. Dafür waren die Menschen bitter und sauer geworden.
Er sprach von einer Drohung, die von einer neuen Kraft ausgehen kann, welche alte Begrenzungen und Ordnungen zerbricht, wenn sie keine Gefäße findet, in die sie gegossen werden muss. Aber die Vorstellung und die Gewohnheit ist so bindend, daß das Neue, was kommen soll, von der gleichen alten Art sein muss, weil es nichts geben darf, was als Neues aufwächst und den alten Geist und die alte Ordnung nicht festigt. Dienlich ist es nur, wenn damit Altes aufzubessern ist.
Das Misstrauen wird recht behalten. Im neuen Gewand wird auch später wieder alles daherkommen und Versprechungen machen, und es bleibt der alte Mensch, nur in einem anderen Gewand, das ihn verkleidet: und verspricht und verspricht. Am Ende war alles nur beim Versprechen geblieben. <Seltsame Dinge haben wir gesehen>, sagten die Leute, welche die Übersicht behielten. Geheilt ist einer gegangen. Sieht er nun mit anderen Augen in die Welt und auf ihre Menschen? Trägt er nicht mehr an der Last, welche das Vergangene auferlegte? Vermag er frei zu gehen? Sieht er nun auf die Lasten, die andere tragen müssen? Läuft er den Versprechungen der andren wieder hinterher? Die Anderen können vielleicht nicht ertragen, daß einem von ihnen vergeben worden ist.
Mitmenschen halten es nicht aus, wenn einer glaubt, ihm sei die Sünde vergeben. Sicherheit wird gebraucht, daß alle einander gleich sind und dem Verdacht, Sünder zu sein, nicht entgehen können. Wie sollte da einer unter ihnen sein können, der ‚ohne Sünde’ ist?
Dann sagt er noch: <Und niemand, der vom alten Wein trinkt, will neuen. Denn er spricht: Der alte ist milder!>
Jesus hat etwas vollbracht, was zu können unmöglich erscheinen mußte. Warum wird die Frage nicht immer gestellt, wenn von Gott die Rede geht, ob sich Worte auch in Handlungen des Heilens erweisen, die genau so schwer zu machen sind wie die Zusage: ‚Deine Sünde ist in Wirklichkeit vergeben.’
Jesus machte eine Versprechung, und tat an einem anderen, was dessen Gehen und Freisein, dessen Heil anging. Er wollte, daß die Anderen sehen sollten, wie einer zu gehen vermochte, der bis dahin nicht gehen konnte. Dem Gestalten neuer Bilder mussten Handlungen folgen, in denen sich das Neue ausdrückte.
Vielleicht erschien dem Geheilten seine Erfahrung auch als unwirklich, nachdem er gegangen war.
Was hat seine Heilung mit der Sünde zu tun, von der Jesus gesprochen hatte! Er geht in den Tempel, opfert, dankt Gott, weil er gesundet ist. Da ihm die eine Last abgenommen war, hat er wieder andere Lasten zu tragen. Immer werden die alten ‚Gewänder’ mit den Fetzen von dem neuen ‚Gewand’ geflickt und ausgebessert und die alten Lasten werden nur durch neue Lasten ersetzt .
Menschen möchten den Versprechungen glauben, daß ein ‚Neues’ kommt, damit sie frei und ledig gehen können.
Es will geglaubt werden, daß Erniedrigte, Geknechtete, Ausgebeutete, Hungernde, Leidende, Arme, die Aufhebung des Leides, die endgültige Freiheit erringen. Aber wenn ‚das Neue’ eingetreten ist, überfällt einen der Gedanke, daß nur wieder die alten Verhältnisse weitergetragen werden und Opfer gebracht werden mussten, die keine Frucht brachten.
Die innere Stimme der Wahrhaftigkeit deckt den Zwiespalt auf: ‚Auch Du warst einer, der geglaubt hat, daß das Neue anbricht aber Du hast nicht feiern dürfen bei einer dieser ‚Hochzeiten’, nicht Lachen, nicht Singen, nicht Freude und Friede war und kein Licht leuchtete in den Nächten’. Wenn das Herz geprüft wurde, dann war es voller Bilder, die alle das Warten auf die Hohe Zeit überdeckten. Und auch das ‚Gespräch des Herzens’ war eingetrübt. (Ps 19,15 )
Man kann sich nur festhalten an dem, was ein Trost ist und Halt gibt. Vom Wein heißt es auch: ‚Niemand, der vom alten trinkt, will neuen.’ Beim Glauben ist es auch so: der alte ist besser.
Ein geschichtlich gemilderter Glaube, der seine Ursprünglichkeit und Wildheit verlor, enthält dennoch Spuren von den Anfängen und Aufbrüchen, als sich dieser Glaube bildete. Was einmal geschehen war, wurde weitergetragen. Es war keine einfache und leichte Aufgabe.
Die Vorsicht und die Erfahrung liegen im Widerstreit mit dem Glauben an den, der kommen soll ‚in jenen Tagen.’ Die Vorsicht vermutet, daß der ‚neue Wein’ verrinnen und verderben wird. Die altgewordenen Behälter wird man deshalb weiter bewahren müssen.
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