Kapitel 4, Vers 1/2

Die Namenreihe reichte bis zum Anfang, als die ersten Menschen erwachten. Die Menschen erlebten sich in der Leere. Pflanzen hatten Erde, um zu wurzeln, um darauf zu wachsen - um ihre Frucht zu tragen. Tiere fanden Nahrung, um fressen zu können - und waren ausgestattet mit der Fähigkeit zu jagen, zu schlagen, zu fressen und verzehrten, was auch sein Leben hat und es bewahren will. Das Lebendige wehrt sich und nährt sich und verzehrt, was gewachsen ist, und schlingt und frisst: und fragt nicht nach Schuld dabei.

Das, was geschieht, braucht keine Entschuldigung. Das Leben selber will sich erhalten - braucht das andere Leben, das ihm Unterhalt ist. Es kennt nur die Notwendigkeit, sein Dasein zu erhalten.

Der Hunger macht die Grenze durchlässig, die vor dem Wahrnehmen des nagenden Hungers geschützt hat. Jetzt kommt das Begehren nach Sättigung. Ein Mensch, wenn er erst groß geworden ist, erinnert sich nicht mehr, daß ihn am Anfang nur hungerte, er genährt werden wollte - und angewiesen war auf einen mütterlichen Grund als der Grundlage jeden Lebens.

Mit der Stimme der Klage wird das Innere laut und bemerkbar, holt herauf : ‚Immer bin ich hungrig gewesen - ich habe es nicht gewusst - nicht gewusst, nicht in der Wirklichkeit, die in einer Wüste Wirklichkeit ist.’

Nicht gespürt hat das ‚ich’, daß alles, was lebt, nur hungrig ist. Es hungert ihn - wie alles Leben.

Aus dem Schweigen der Tage, der Nächte, unter der brennenden Sonne des Tages, unter der Kälte des Himmels in den Nächten, bricht es aus: Nicht ein ‚Ich’ war ist es, das in die Wüste gewollt hat, ein andrer Wille hat es fortgetrieben, vom Fluss weggeholt auf Wege, wo schon andre einen Weg gebahnt hatten - und vor dem Offenwerden des Hungers der Menschen, des Hungers in der Welt gestanden hatten.

Der Geist holte fort von allem, was Nahrung, Sicherheit, Mit-Welt war. Alles ist fortgenommen, was Schutz und Sicherheit war. Bloß ist ein ‚ich’ dem Erkennen ausgesetzt. Wüste und Leere - Sand und Steine.

Ein Nachtgesicht - ein Tagtraum, ein tiefes Bedürfen - Gott hat ihn hierher gebracht - um ihm zu zeigen, wie aus Steinen Brot wird.

Vierzig Tage und Nächte haben ihn dahin gebracht, daß er der Stimme gewahr wird, die unerbittlich fordert. Sie hat auch in andren Menschen geboten, gefordert, von Anfang an: ‚Mach!’ Schaffe dir -!’ Aus dem Gegenüber fordert die Stimme unerbittlich: ‚Schaffe dir Brot - aus diesen Steinen - aus dieser Welt - schaff dir Brot - du bist doch -!’

Eine Stimme ist in allem und ein Erkennen dahinter, ein Wissen, das über alles Menschliche ist. Eine Stimme des Wissens und Erkennens, die Widerstand leistet, sich aller Selbstbehauptung entgegenstellt: das Wissen: ‚Es geht nur um ‚Brot’.

Alleine ist er der Menschheitsfrage ausgesetzt: ‚Was kann Brot schaffen, Nahrung geben, der Daseinserhaltung dienen. ‚Bist du ein Mensch - dann -. Sprechen nützt nichts - Bitten nützt nichts -. Aus Steinen wuchs Erde. ‚Sprich zu diesem Stein, daß er zu Brot werde. Sprich und es geschieht, wie du es willst!’

Alle Erde ist aus Steinen gewachsen, hat Fels und Steine bedeckt, hat der Erde ihren Namen gegeben, und hat dann alles wachsen lassen, hat auch die Menschen werden lassen. Von Anfang an ist dies geschehen. Die Namen reichen weit zurück und das Erinnern, woher die Menschen gekommen sind.

Die Stimme weiß alles, erinnert alles, ist immer mitgegangen und weiß, woher die Menschenvölker gekommen sind. Die Erde ist geworden und hat wachsen lassen. Aus der Erde ist das erste Brot gekommen. Davon haben alle ihr Leben. Oder gab es einmal ‚kein Brot?’ Die Namen reichen weit zurück, ein Erinnern reicht nicht bis zu den Anfängen.

Tage und Nächte brachten dahin, wo er gewahr werden konnte, daß die Stimme sprach, die immer in allen gesprochen hat: Um des Hungers willen, um der Not und Bedürftigkeit willen, um des Menschseins willen musste aus Steinen Brot werden.

Alles andre an Bedürfnis, an Hunger - kann verschoben werden, auf alles andre kann Verzicht geleistet werden, kann auch verwandelt werden, umgesetzt in Begehren, in Verlangen oder kann geleugnet werden - sogar das eigne Leben. Aber kein Leben kann darauf verzichten, daß gegessen werden muss. Vierzig Tage und Nächte vielleicht kann das Leben hungrig bleiben - aber dann ist Nahrung notwendig.

Aber Gott gab das Wort, Gott gab die Sprache. Daran ist der Mensch gewachsen, das hat ihn zum Menschen werden lassen. Auch das wird offenbar im Hunger.

In der Leere, im Zustand des Unerfülltseins in der wahren Bedeutung des Wortes, wird offenbar, daß die Menschen lange brauchten, von den Anfängen an, bis es sich entrang, das Wort aus der Stille, das Wort in die Leere - zu Menschen gesprochen, die es auch nur hungerte: <Gedenke das ganzen Weges, den dich ‚der Herr’, dein Gott, geleitet hat, diese vierzig Jahre in der Wüste, auf daß er dich demütigte und versuchte, damit kund würde, was in deinem Herzen wäre. Er ließ dich hungern und speiste dich mit Manna, das du und deine Väter nie gekannt hatten: auf daß er dir kundtäte, daß der Mensch nicht lebt vom Brot allein - so erkennst du in einem Herzen, daß dein Gott dich erzogen hat, wie ein Mann seinen Sohn erzieht.> (5. Mose 8)

Demut brauchte es, damit die Menschen die menschliche Wahrheit und Wirklichkeit als Bedürftigkeit, als ein Angewiesensein vor Augen haben. Immerwährend, jeden Tag, ist Nahrung nötig. Vierzig Tage waren es für einen Menschen, damit kund würde, was in seinem Herzen ist: ‚Sprich - zu diesem Stein - und wenn du Gottes Sohn bist, dann wird daraus: Brot!’

Aber kundgetan ist, daß der Mensch nicht lebt vom Brot allein , es geht um mehr - im Leben der Menschen.

‚Was willst du - jetzt?’ Die Stimme fragt - nicht die Stimme eines Verleumders , keine Stimme der Schmähung, sondern die Stimme eines Ichs sich selber gegenüber. Was kann ein Mensch, verloren in der Wüste, wollen, was mehr sein kann, was will er anderes - außer ‚Brot’.

Der Fluss liegt hinter ihm, war die Grenze zu denen, denen er zugehört, zu denen er geschickt ist, für die er sein Leben geben will, was will er ihnen sagen, ihnen mitbringen: was in seinem Herzen ist? Erkennt er es nicht? Hunger ist, was ihn treibt!’ ‚Kundtun was im Herzen ist -‚: wer tut das - wer kann das tun? Auftrag, eine Forderung ist es: ‚Tu kund - was in deinem Herzen ist -!’ Das Wollen des Herzens ist, daß Hunger gestillt wird. Erkennen soll der Mensch, was in seinem Herzen ist.

Auch nach der großen Flut ging es weiter um Essen und Trinken, sich wehren und kämpfen, kaufen und verkaufen, Land besitzen, und haben, was darauf wächst, Grenzen um sich wissen, die andre fernhalten. Das Volk ist nicht in der Wüste geblieben. Es wurde gerettet vor dem Hunger, vor der Not - vor dem Untergang. Als es versucht wurde, sprach nur die Stimme des Herzens: ‚Schaff Brot, schaff uns zu essen - und rette uns, wenn du kannst. Nicht Hungers sterben.’

Selbst das Land der Sklaverei hatte Brot und Fleisch. Auf ‚Gott dienen’ kann Verzicht geleistet werden, aber zu essen haben muss ein Mensch, alles andre ist nicht so notwendig wie dies.

Die Stimme eines ‚Ichs’, verselbständigt, als Gegenüber und als fremd erfahren, ist das die Stimme eines Verleumders? Die Sprache der Anschuldigung? Eine Versuchung durch die eigenen Wünsche? Eine Versuchung gegen die Erfüllung des Auftrages, ein Mensch zu werden, der zum Segen werden soll?

Viele haben gerufen, gebeten, gefleht: ‚Gott tu! Gott sorg für uns! Gib uns Kraft, Erfolg, Ehre, Macht, Frieden, Wohnen - Gott erhalte uns, achte auf uns, mach uns groß, schlag die anderen, gib uns - Gott mach!’ Fülle die Armen mit Gütern, las die Reichen leer, sättige uns mit langem Leben, hieß es. Und wenn das alles nicht erfüllt wird, im eigentlichen Sinn des Wortes, dann ist es auch nichts mit dem Loben und Danken.

Oder kann beim Essen des Brotes der Armen an Gott gedacht werden und seines Wortes?

Aus dem Leeren, aus dem Hunger, ist auch der Glaube gewachsen. Vergessen soll niemand, was im Herzen ist.

Langsam, durch Jahrtausende ist die Erde gewachsen, und gibt Nahrung. Aber wo es um stark und stärker geht unter den Menschen, haben die Starken recht: es ist alles ein Ringen und Kämpfen. um die Verteilung der Erde, um die Verteilung des Brotes, um Felder, auf denen es wächst, um die Grenzen, es zu schützen, um die Nutznießung von allem, was wächst und nähren kann. Selbst die Macht und die Ehre, der Platz und der Vorsitz an der Tafel des Lebens sind nur Zeichen dafür, wer sich am meisten nehmen darf, was zugestanden wird von den Mitmenschen, um es sich einzuverleiben.

Auch im Hunger ist Hunger nach mehr. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.

Jetzt kommt er Augenblick, wo Jesus bekennen und kundtun muss, was in seinem Herzen ist. Will er mehr als seinen Hunger stillen? Hungert ihn wirklich nicht nur nach Brot - ?

Noch haben sie, die sich behütet wissen, das Wort Gottes. Noch ist es nicht wichtig, daß jetzt schon deutlich wird, daß auch im Hunger, im Elend, das Wort Gottes ein ‚Mehr’ ist, woran es festzuhalten gilt. Zu Steinen wird noch mancher sprechen müssen: ‚Werde zu Brot!’ Aber weitertragen werden sie und ihre Kinder: ‚Der Mensch lebt nicht vom Brot allein’.

Sie werden der Abfolge von Gestaltungen, der ewigen Reihe von Abbildungen eines Menschen, den Gott geschaffen hat, nicht ihre Achtung versagen, sondern sie in ihr Dasein hereinnehmen, damit sie werden, was sie sein sollen. Sie sollen dem Menschen, der ‚Gottes’ war, ähnlich werden.

Jesus macht aus den Steinen kein Brot. Aber wenn er zurückkommt, dann mit dem Erkennen, daß es um ein ‚Mehr’ geht und nicht allein ums Brot. Aber widersprechen wird er nicht dem Hunger nach Sattwerden oder verleumden, denen es nicht um ‚mehr’ gehen kann. Das Verlangen muss geachtet bleiben, gefühlt das Recht in diesen Stimmen nach der Befriedigung des Hungers.

Es wird Klagen und Vorwürfe und Anschuldigungen geben, die jeden treffen müssen, dem es nicht nur um Nahrung geht im menschlichen Dasein: ‚Ihr alle, bei allem, was ihr tut und um euch herum aufbaut an Sitte, Brauch, Kultur und Glaube, Geboten und Verboten, Göttern, die verehrt werden müssen, Opfern, die dargebracht werden - Ihr alle wollt euch auch nur rechtfertigen in eurem Zugriff auf die Nahrung, weil Ihr satt sein wollt und euch schützen wollt vor dem Hunger und vor der Not des Lebens!

Und einer, fern von allen Menschen, spricht in seinem Herzen, der Mensch lebt nicht allein vom Brot - und hat zum ersten Male gespürt und gewusst, daß es auch ihn gehungert hat, mehr vielleicht als viele andere, die mit weniger zufrieden sind; es hat deswegen so lange gedauert, bis er begriffen hat: ‚Es hungert mich! Ich habe - auch - Hunger!’

Woran will er denn ‚satt’ werden, wenn nicht an dem, woran alle satt werden können - was soll denn auf seinem Felde anderes wachsen? ‚Hunger nach Gerechtigkeit’ ist doch auch nur ein Hunger nach der gerechten Verteilung des ‚Brotes’! Jeder fragt sich: Woran soll denn einer satt werden, wenn nicht am Brot? Wie viele werden so stehen, fragen, in ihren Wüsten - und vielleicht sterben, ohne satt geworden zu sein?

Früher hieß es einmal: <Gebt unserm Gott die Ehre! Er ist ein Fels! Ist er nicht dein Vater und dein Herr?> Ein Vorwurf mahnte an Vergessenes und erinnerte an ein Versäumnis: <Deinen Fels, der dich gezeugt hat, hast du außer acht gelassen, hast vergessen den Gott, der dich gemacht hat!> Eine lange Zeit hat ihre Spuren hinterlassen.

<Es ist nicht ein leeres Wort an euch, sondern es ist euer Leben!> Durch dieses Wort sollten sie lange leben, in dem Land, das ihnen gegeben wurde. Wortzeichen aus dem Vergangenen. Auch ‚lange’ hat ein Ende. Aber die Suche nach dem, was satt macht, bleibt.

Aus Steinen kann sich Gott Kinder erwecken, das hatte Johannes gesagt.

Aber daß aus Steinen Brot wird, das bleibt als Verlangen, als Erwartung, als Forderung an die Welt.

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