Kapitel 8, Vers 26/1

‚Er hat uns gerettet, wir kommen nach Hause!’ war das Gefühl, als der Sturm abgelassen hatte und die Stille sich von ihnen gelöst hatte. Sie landeten auf der anderen Seite des Sees, gingen dort an Land, <Galiläa gegenüber>. Ein Mann <aus der Stadt> kam ihnen entgegen. Er war nicht mehr zu erkennen als Mann aus der Stadt. Er hat von sich geworfen, was ihn als Mitglied einer städtischen Gemeinschaft ausgezeichnet hatte. Er war ausgestiegen aus dem geordneten Verbund des Daseins. Er hatte sich aus den Bindungen des Alltages gelöst. Er war losgegangen wie einer, der fliehen mußte. <Der hatte von langer Zeit her keine Kleider an und blieb in keinem Hause.>

Mit seinen Kleidern hatte er die Lasten und die Wohltaten des alltäglichen Daseins abgeworfen und trug nicht mehr, was man gewohnt war zu tragen, um im Stande zu bleiben, seinen Platz im Leben zu behaupten. Er hatte den Glauben verloren, ein Mensch unter Menschen sein zu können.

Ein Unwetter war über sein Land gefahren, in dem er bisher wurzelte. Ein anderes hatte von ihm Besitz ergriffen. Ein Sturm war durch ihn hindurchgefahren, der ihn nicht wohnen ließ in Häusern und hatte ihn fortgeführt aus Besitz, Arbeit und Pflichten. Es riss ihn auf einen Weg, wo es keine Hoffnung mehr gab, irgendwo ankommen zu können. Die Gewohnheiten des Wohnens waren von ihm abgefallen, wie seine Kleider abgefallen waren.

In den Augen seiner Mitmenschen im Land war er immer noch der ‚Mann aus der Stadt’, der aber keinen Anteil mehr nahm an allem, was Menschen bewegte, umtrieb, ausrichtete auf Ziele, die zusammenhielten. Deren Belohnungen, Hoffnungen, Anerkennungen waren ihm nichts mehr wert wie auch die Verrichtungen eines Glaubens, der sie zusammenhielt.

Die Kleider vom Leib gerissen, zeigte er sich den Anderen nackt, zeigte ihnen seinen Hass, hasste sich selber.

Schrie dann nicht mehr, sondern suchte für sich einen Ort in den Höhlen. Unter Toten, in ihrer Gegenwart hatte er sein Leben. Die Anderen wollten ihn festhalten, taten, was sie vermochten, damit er nicht hinausfiel aus ihrer Gemeinschaft. Sie ahnten, daß das Misslingen eines einzigen Lebens das Gelingen ihres gemeinsamen Lebens zerstören konnte.

In ihrer Furcht, in ihrer Hilflosigkeit ihm gegenüber und seinem Leiden und in der Angst, die sie durch ihn ansprang, hatten sie ihn, der kein Mensch mehr sein wollte, mit Ketten gebunden und gefangen gehalten. Aber er ‚zerriss seine Bande und war getrieben von dem bösen Geist in die Einöde.’

Niemand war da, der ihm hätte helfen können. Er war verrückt, er war wahnsinnig, er war wie ein Ertrinkender, der, schon ohne Bewusstsein, einen Retter, dessen Hände er noch fühlen konnte, umklammerte, mit so viel Kraft, daß dagegen die Kraft des Retters nicht mehr ankommen konnte. Er hatte alle Fesseln gesprengt, nichts hielt ihn, weil der ‚böse Geist’ ihn fortriss in Welten, wo es kein von den Göttern geschütztes Hausen mehr gab. Auch kein Schiff, in dem das Leben sich hielt gegen die Gewalten, die über es kamen und unter ihm aufstiegen.

Das Lebensschiff war zerbrochen und hielt nicht mehr zusammen, was in der Lebenszeit zusammengehalten werden mußte.

Zerrissen war das Band, das seine Gaben und Kräfte hielt. Herausgerissen aus der Erde, die ihn getragen hatte, war sein Ich den Gewalten und Mächten ausgesetzt, vor denen es kein Wachsen, kein Reifwerden und Fruchttragen mehr gab.

Versunken, verschlungen war sein Geist, ausgesetzt der Körper der Qual, kein Mensch mehr sein zu können. Zersprungen war das Gefäß, in dem er Wissen und Erkenntnis, Willen und Glauben zu bewahren hatte.

Einer kam ihm entgegen, der war in einem Boot gekommen. Über den See war die Wetterwolke hingezogen, ein Boot war hervorgekommen. Das Wasser war still wie ein Spiegel geworden. Im Spiegel des Wassers stand noch ein Himmel und lag noch ein Boot. Es kam aus einem anderen Land. Es waren Menschen darin. Ein Mensch war in dem Boot, der zu ihm wollte. Das Bild des anderen Menschen drang in ihn ein, löste Entsetzen aus, rief die älteste Angst an, daß das, was an Lebendem einem erscheint und einem gegenübertritt, als Gestalt erkannt wird, die nach einem greifen wird, fassen, als Beute zerreißen, als Fraß verschlingen wird.

Seit der böse Geist in seine Grenzen eingebrochen war, erschüttert hatte, was bisher sein Eigenes gewesen war, vermochte sein Inneres sich nicht mehr zu schützen gegen den Einbruch der Bilder und wählte nicht mehr aus, fand nicht mehr aus den Gestalten, die ihm gegenübertraten, die für ihn Richtige. Er hat den Maßstab aufgegeben, nach dem gemessen wird, was ein richtiger Mensch und ein falscher Mensch war, was ein wirklicher Mensch ist und ein Mensch aus einem Spiegel über einer schimmernden und trügerischen Oberfläche, unter der sich die Tiefe birgt.

Aber weit entfernt von dem Maße, mit dem alle messen, erkennt sein Inneres den vollkommenen Menschen, dessen Inneres, seine Ergriffenheit, sein Ausstrahlen, und begreift auch das Erkennen, das den Verlorenen umfasst.

Da schreit er auf, da fällt er nieder, da ruft er laut. Sein Bitten bricht aus ihm heraus, verborgen bis zu diesem Augenblick, in dem er sich erkannt sieht und Erkennen in ihm aufsteigt.

Heimliches Bitten und verborgenes Wünschen war in ihm gewesen, seit die Mutter ihn in ihrem Leibe getragen hatte. Erwarten und Bedürfen waren in den Untergründen verborgen geblieben. Kein Tageslicht gelangte dort hin. Aber heimlich und doch spürbar hatte es immer mitgeredet und war in seinem Flehen gewesen als einem Kundtun von Not, der gegenüber sich jeder andre Mensch versagt hatte. Die Bilder, die andren das Heil und Sicherheit versprachen, hatten für ihn ihren Glanz und ihre Macht verloren, waren zerbrochen in seinen Augen, waren eingefallen und lagen wie beraubt und ausgeleert. Ihre Verheißungen und Versprechungen waren mit ihnen versunken.

Sie sagten seiner Seele nichts mehr. Er hatte irgendwann einmal aufgehört damit, Menschen und Götter zu bitten und hatte auch sein eigenes Leben verworfen. Da war das Feuer in seinem Hause erloschen, da leuchtete auch kein Licht des Lebens mehr, da brauchte er auch die Kleidung nicht mehr, weil sein Leben kein Ansehen mehr forderte.

Das Dasein war zur Qual geworden. In den Höhlen, unter dem Zergehenden, was einmal Leben hatte, bei den schon Vergangenen war ihm das Bitten geblieben, das selbst noch von den Resten ausging, die sie hinterlassen hatten, ihren Wohnungen, ihren Tempeln, ihren Herdfeuern, ihren Worten: ‚Gib! Gott gib!’

‚Noch einmal! Gib Leben! Richte auf gegen das Vergehen deine Kraft und halte dein Wort der Finsternis und dem Tod entgegen!’ Bitten konnte er, weil er immer darauf hinsehen mußte, wofür einer bitten mußte, weil es zerstört wurde, weil es gequält, verdorben wurde und leiden mußte. Bitten konnte er, weil immer das Bitten in ihm gewesen war: ‚Bitte! Nicht quälen!’

Er findet die Worte wieder, die er Jesus entgegenbringt: <Ich bitte dich, du wollest mich nicht quälen!> Jetzt ist es wieder still geworden. Einer hat Jesus ‚Bitte!’ entgegengebracht.

Es ist genug an Qual, die von den Mächten ausgeht, die sein Inneres beherrschen. Qual tritt aus seinem Inneren hervor. Ihm kann er es sagen, das mit dem ‚Nicht-Quälen’.

Ein Mensch sprach, der alles begriffen hat, das Dunkel, das über allem Menschenleben liegt und auch die Finsternis und ihre Furchtbarkeit, in die alles versinkt, was einmal gelebt hat. Bei den Toten hatte er gewohnt und das Bitten war der Rest gewesen, den er aus dem Leben bei den Anderen behalten hatte.

Fast nicht mehr im Leben war er eine Stimme und ein Atmen unter denen, die tot waren.

Da war wenigstens noch eine Stimme in den Grabhöhlen. Für die, die ihm begegneten, war er ein Gespenst geworden, das sie scheuten. Sie hatten sich selber zu schützen, sie hatten versucht, ihn bei sich anzubinden, als ob es einen Ort für ihn gegeben hätte, wo er hätte bleiben können, der schon so weit fort von ihnen allen war. Die Gestalten, die sich ihm öffneten, duldeten keine Bindungen mehr, verwehrten alles Zuhausesein, duldeten nicht mehr das Vertrautsein mit einer heimatlichen Welt. Die Verkleidungen hatten ihr Gelten verloren, er mußte alles von sich reißen, nackt mußte er sein, ohne Scham, ausgesetzt allen Blicken. Aber kein Paradies umgab ihn mehr.

In den Höhlen einer Zeit, die selber schon lange vergangen war, hauste das Erstorbene, das ums Leben Gebrachte. Das Dunkel, das in ihn hineingekrochen war und in ihm war, hatte das Bild zerstört, das er von sich als einem Menschen gehabt hatte.

Andere Gestalten zeichneten sich ab, die nach ihm griffen, weil immer noch etwas da war an Leben, das sich zu ergreifen lohnte und das in seinem Fürchten noch antwortete. Die Ungeheuer hatten mehr Kraft und mehr Macht als die Menschen haben.

Es gibt eine Brücke zwischen den beiden Menschen, auf der sie sich erreichen, jeder in des Anderen Inneres sehen kann. Der Gequälte fühlt mit seinem Bitten zu dem hin, der ihn erkennen kann.

Er bittet, dass der Andere ihm nicht mit Quälen antwortet. Aber das ist nur möglich bei einem, der nicht erst gebeten werden muss, dem nicht erst abgebettelt werden muss, der das Quälen nicht braucht, bei sich selber nicht, bei anderen nicht mehr.

Dann spricht Jesus ihn an, redet zu ihm wie zu einem Kind: <’Wie heißt du?’> Ein Name! Ein Name muss doch geblieben sein, er muss sich erinnern, er soll sich erinnern, wie einmal nach ihm gerufen worden war als noch jemand glaubte, nach ihm rufen zu können und sein Antworten zu erhalten: ‚Ja, hier bin ich!’ ‚Ja, gleich, ich komme ja schon!’ Die Stimme tut ihm nicht weh. Es hatte gut getan, gerufen zu werden, bis er merkte, daß sein Name im Mund der Anderen einen anderen Klang angenommen hat als in seinem Inneren. Alle haben Namen, werden genannt und gerufen, es sind furchtbar Viele.

Furchtbar Viele sind schon vergangen, alle schon untergegangen, schon verworfen, zertreten, auch die Hoffnungen, die vielen Leben, nach denen niemand mehr fragte.

Aus welchen Gründen haben sie nach ihm gefragt, seinen Namen gerufen! Der hier fragt nach seinem Namen, weil er nach ihm rufen will. Einen Namen muss er haben, weil es einen danach verlangt, nach ihm zu sehen, nach allem, was in ihm und mit ihm ist.

Da formen seine Lippen ein Wort, ein fremdes Wort, und seine Augen starren in eine ferne Welt: ‚Legion’! sagt er. Seine Hände streichen über das Land hin, als sammelte sich das Leben darauf, von dem er sagen will: ‚Wir sind Legion!’

‚Viele sind wir und gezählt!’

Die Geister, die ihn beseelten, hatten keine Namen, es waren viele. Aber alles hat seine Zahl wie Tropfen im Meer; wie die Heere der Menschen, alle ins Verderben gegangen, alle verkommen. Gebeten hatte er, gebeten hat die Angst in ihm. Es waren zu viele Teufel, als daß ein Mensch sie hätte tragen können.

Aber auch die Teufel baten darum, <daß er sie nicht hieße in die Hölle fahren!>

Die bösen Geister baten ihn, die Teufel baten darum, weil sie auch die Angst haben, unterzugehen, von den Tiefen verschluckt zu werden, von den Höllen verschlungen zu werden.

Ein Mensch ist ihm gegenüber, der ihn nicht weiter quälen lassen will, der ihn nicht in die Hölle fahren läßt. Für diesen hat er wieder ein Gesicht und einen Namen.

Legion würden sie aber weiter sein, die ohne Namen, ohne Gesicht, ohne durch ihr Menschsein geschützt zu sein, fielen, fallen müssen ins Bodenlose, verdorben durch andere Menschen, die der bösen Geister nicht Herr werden.

Böse Geister toben auch in denen, die andere Menschen zur Hölle fahren lassen.

Gottes Sohn steht ihm gegenüber, der ihn verderben und zur Hölle schicken müsste. Sein zerstörtes Menschenbild hatte immer nach Ergänzung, nach Heilung gesucht, obwohl es verdammt, gerichtet, verurteilt werden muss, weil es so nicht bleiben darf, eine Anfechtung für den Sohn des Höchsten.

Der Andere hat ihn gefragt, wollte hören, wollte ihn erhören.

Es ist nur noch ein Mensch da, ein Leidender, ein Verlorener, ein Hingegebener an die Höllen der Menschen und ihrer Welt.

‚Nicht noch mehr quälen’ hat er zu Jesus sagen können. Es ist ein Bitten von tausend Stimmen, die um ihn herum flüstern, schreien: ‚Nicht in die Hölle!’

Sie erwarten das Verdammen und flehen: ‚Tu nicht, was du tun musst, Sohn Gottes, wenn du uns siehst in unserem Elend, in unserer Nacht, in fortwährendem Entsetzen!’, verzweifelt, weil sie einen Menschen brauchten, um in ihm ein Zuhause zu finden und ihn zerstören müssen, weil sie von ihm zehren müssen, weil sie eine Stätte brauchen, eine Hülle, um ein Bleiben zu finden, wo sie sich austoben können, bis sie vergehen.

‚Sitzend, bekleidet, vernünftig’ fanden seine Leute ihn neben dem fremden Mann, der aus dem Land ‚Gegenüber’ gekommen war.

Als sie seiner ansichtig wurden und ihn erkannten, den sie anders kannten, packte sie der Schrecken.

Nicht nur ein zerstörtes Ich hat um Hilfe gebeten, die Geister selber haben gerufen, gebettelt.

Er war bei sich und hatte etwas von der Stille an sich, die um Jesus war. Die Geister haben ihn in Frieden gelassen und Jesus hat ihm den Frieden gegeben. Er trug Kleidung und besaß Vernunft, war wieder ein Mensch unter Menschen, einer mit einem richtigen Namen.

Der Fremde aber blieb der Fremde, obwohl er Gutes getan hatte an einem, der zu ihnen gehörte. Ihm gegenüber fühlten sich die Leute nicht mehr unsicher und verwirrt; aber sie mussten den Blick des Andren meiden. Etwas von dem Ungeheuerlichen war noch in der Nähe. Es flüsterten noch Stimmen um sie, als seien sie der Nachhall der Stimmen, die vorher geredet hatten. Jesus hat sie nicht in die Hölle zurückgeschickt, weil sie darum gebeten haben, nicht in die Hölle fahren zu müssen.

Aber ein ‚Wohin’ mußte es auch für sie geben, obwohl sie nicht unterzubringen waren im Haus eines Menschen.

<Es bat ihn die ganze Menge, daß er von ihnen ginge!> Sie mussten ausgrenzen, was zwischen zwei Menschen geschehen war. Jesus durfte nicht bleiben, böse Geister hatten zu ihm gesprochen und die Teufel wollten etwas von ihm. Es durfte kein Dulden geben solcher Einbruchsstellen, aus denen heraus fremde verborgene Welten um sich griffen. Jesus kehrte zurück dahin, wo ihn seine Leute aufnahmen ‚mit Freuden, als er wiederkam.’

Der Mann war zurückgeblieben. Jesus hatte, ihn zu seinen Mitmenschen zurückgeschickt, weil er der Sprache wieder mächtig war und seine Sinne ihm gehorchten. Er sollte sagen, welche ‚Dinge ihm Gott getan hatte.’ Er hatte erlebt, wie das Wort gegen das wortlose, verborgene und wirksame fremde Mächtige aufstehen konnte. Ein Wort hatte die Welle des Verderbens aufgehalten, die über eine Seele hereingebrochen war. Ein Anderer hatte vollbracht, in seine entsetzliche innere Welt einzugehen. Ein Leib war wieder ein Gefäß, in das sich die Kräfte und Mächte sammeln ließen.

Es war nur ein Angerührtwerden, es war ein Hauch, ein Laut, eine Berührung, ein Erkennen bis auf den Grund, ohne daß die vermittelnden Dinge nötig waren. Das Grauen war geschwunden. Wenn er davon reden soll, dann muss die Erinnerung daran erhalten bleiben. Seine Leute hatten ihn gescheut, als sie ihn nicht mehr festhalten konnten, als es keine Rückkehr mehr gab. Sein Lebenshaus war von den Gründen her erschüttert worden und war aus den Trümmern zu einem neuen Lebensgefüge wieder zusammengefügt worden. Solange er davon redete, würde Fremdheit um ihn sein und das Dasein mit den Anderen für ihn schwierig machen.

Aber Kräfte vergehen nicht einfach, sondern folgen ihren Regeln. Die bösen Geister hatten nichts, wohin sie hätten sich bewegen können, wenn sie nicht in die Hölle fahren wollten.

Wie Vögel ihren Flug ändern, ein ganzer Schwarm auf einen Befehl hin, gelenkt wie von einer Hand oder einer unhörbaren Stimme folgend, in eine andere Richtung fliegt, anderen Zielen sich zuwendend, eine Herde einem nicht erkennbaren Auftrag zu folgen scheint, so kam Bewegung in die Schweine. Sie spürten die überschießende Kraft, setzten sich in Bewegung und folgten dem Zug zum Wasser des Sees, in dem sie untergingen. Eine Brücke war entstanden zwischen den Tieren der Menschen und den Geistern, die das Innere eines Menschen bevölkert und besetzt gehabt hatten. Der Mensch war nicht untergegangen, aber die Tiere ertranken an seiner Stelle.

Vielleicht mochten die Menschen in dem Land gegenüber darüber lächeln, weil es die Schweine waren, die sie verabscheuten. Eine ganze Herde davon war den Anderen verloren gegangen. Sie nahmen ihn mit Freude wieder auf, als er zurückkam. Aber sie waren auch nicht beteiligt gewesen, als Jesus dem Entblößten, Nackten, dem Tobenden und Wütenden gegenüber gestanden hatte und zu ihm hindurchgedrungen war in die Welt seines Inneren, in dem kein Licht ihm leuchten konnte. Er hatte seine Gegenwart ertragen und das lösende Wort gekannt und seine Kraft an das Leben des Andren gewandt.

Der von ihm ins Leben Zurückgerufene jedoch würde sein ganzes Leben daran zu tragen haben, wenn er an seiner Erfahrung festhalten wollte.

Das Wort des Fremden aus dem anderen Land holte sein Leben aus den Gräberhöhlen und der Todesnähe zurück. Die Gewalten, die sein Ich bewegt und überschwemmt hatten, waren geschwunden. Es konnte alles so sein, wie es scheinbar vorher auch gewesen war. An dem Wahnsinn, der die Schweine ergriffen hatte, würde sich ihre Erinnerung festhalten.

Seitdem war das Bitten und Flehen der ‚bösen Geister’ nur noch selten hörbar. Aber sie konnten auch keinen Ort mehr finden, an dem sie sich hätten entladen können, ohne die menschlichen Zusammenhänge zu zerreißen. Sie werden keine Herde mehr finden, in der sie sich austoben können, sondern werden dort ihr Wesen treiben, wo die Mengen von Menschen zu Legionen ihnen ausgeliefert sind, um mit ihnen in die Tiefe gerissen zu werden.

Viele werden die ‚Geister’ zur Hölle schicken wollen und die Menschen mit ihnen, die nicht zerstört werden sollten, wenn schon die ‚bösen Geister’ nicht zur Hölle fahren wollen. Die ‚bösen Geister’ fahren dann in die Menschen, welche die Anderen, die den bösen Geist haben, in die Hölle schicken. Legionen von Menschen werden untergehen müssen.

‚Gekleidet und vernünftig’ erscheint manches Menschliche, das nur verhüllte Hölle ist, aus der die bösen Geister hervorbrechen können.

Damals wurde ein Mensch erlöst von den Geistern, wenn auch auf Kosten der Schweine.

‚Was willst du von mir, Jesus, du Sohn Gottes?’ hatte er fragen können. Sein Inneres wußte noch im Zustand des versunkenen Lichtes, was der Sohn Gottes von ihm wollte. Aus der Bedrängnis und aus der Not heraus hatte jener Mann fragen können. Er hatte einen Heilenden sich gegenüber, der alle Kraft erhalten hatte und gesammelt für seinen Mitmenschen einsetzen wollte. Auch das war zu einem starken inneren Bild geworden, daß ein Retter einem zu Hilfe kommt. Die Herzen verehrten die Bilder vom Retter, der Feinde, Drachen und Teufel tötete.

Aber wenn die Teufel ausfuhren, fuhren sie vielleicht auf der Suche nach Schweinen in die Menschen oder in einen Menschen, der dann die Teufel aushalten mußte oder der von den bösen Geistern in die Tiefe gerissen wurde.

Der Heiler und Retter konnte in den Augen der Andren auch zum Verlierer werden und zum Opfer. Eine Wunde blieb dem Mann, der gerettet worden war und ein ganzes volles Lebendigsein erhalten hatte. Ihm war ein Geheimnis aufgedeckt worden, das den Andren verhüllt und verdeckt bleiben mußte, die ihm ohnmächtig, mit Furcht und Grauen gegenüberstanden. Denen war er unbrauchbar erschienen. Nur ihm war in seiner Finsternis einer erschienen, der ihn zu erkennen und anzurufen die Kraft hatte.

„Die einzig und allein der Nacht gegebenen Fähigkeit, das Licht gleichsam zu gebären“, Kerényi: Er XI 23), konnte mit der Hilfe eines heilenden Menschen erfahren werden; nach der Begegnung verlor die Erfahrung sich nie mehr aus der Erinnerung, das Gedächtnis bewahrte das Wissen, daß „das Dasein des Gewesenen, das die Seele als ihren eigensten Schatz birgt,“ sich wirksam und mächtig zeigte.

Er konnte wissen, was die Mysterien, die zu kennen den Jüngern verheißen worden war, in ihrer Wirkung vermochten.

Als Jesus ihn von sich geschickt hatte, war ihm eine neue Last auferlegt worden mit dem Auftrag: <Sage, wie große Dinge dir Gott getan hat!>

In die Tiefe, in die Schwärze, in ein Meer des Ungeheuren war sein Leben gesunken, der Tod hatte nach ihm gegriffen und hatte ihn schon umfangen. Er wußte nun, daß Stimmen einen bedrängen konnten, denen ein schwaches Ich ausgeliefert ist wie ein Boot ausgeliefert sein kann ungeheuren Stürmen, wußte noch, daß ungeheure Bilder einen überschütteten, denen die ordnende Fähigkeit eines Verstandes nicht standhalten wollte.

Verloren war er geirrt in den vielen Möglichkeiten der Wirklichkeiten, in denen sich Lebendiges zu orientieren gezwungen ist, seit es die Handlungs- und Erfahrungsbilder eines menschlichen Inneren gibt und sich in den Lebensgestalten ausdrücken muss. ‚Sage! Erzähle!’ trug er als Auftrag aus seiner Erfahrung mit sich. Aber zum Sagen und Erzählen gehörten die Hörer, welche sein Erzählen aufnahmen und das Geschehen sehen wollten, worauf die Worte hinwiesen.

In unserer Zeit hat Jemand geschrieben: „Das Wort muss wie eine tiefe Meeresströmung zur Oberfläche aufsteigen!“ (H. Miller) Da wußte auch jemand, aus welchen Tiefen die Worte kommen können, die einen erreichen oder auf Unbehagen stoßen, auf Widerstand treffen, weil alles, was unter der schimmernden Oberfläche des Daseins liegt, die Furcht vor der Tiefe, die Angst vor den Höhlen, in denen das Unheimliche lauert und die Angst vor der Finsternis anspricht, gegen die das Licht im eigenen Inneren nicht ankommt.

Die Höhlen hatten für Menschen der frühen Zeit das Geheimnis des Lebens geborgen, das es zu finden galt, um der Flamme ansichtig zu werden, die das Lebendige im Leben hält. Die Flamme sollte so viel an Licht geben, daß zu erkennen war, wohin die Gestorbenen zurückkehren, wenn sie zurückgetragen werden in die Nacht, aus der sie einmal gekommen waren.

Diesen Menschen hatten Mächte umstellt, Kräfte ihn eingenommen, die Gestalt und Stimmen annahmen, von denen Entsetzen und Angst ausging. Verbergen wollte er sich, weil sie das Bild erdrückten und zunichte machten, das ihm mitgegeben war für seinen Weg. Aber auch dabei hatte etwas in ihm, ein unverlierbarer Schatz in seinem Inneren, nicht vergessen können, daß ein Lebewesen um Hilfe rufen konnte.

Er hatte sich sehen können in einem Spiegel, der ihm nicht das Gespenst eines verzerrten und verstörten Bildes seiner Selbst zurückwarf, sondern aus dem ihm eine andere Gestalt entgegenkam, die ihm alles zurückgab, was er verloren hatte, was ihm schon versunken war.

Nur er selber ahnte, daß die Teufel darum gebeten hatten, in die Schweine fahren zu dürfen, weil es ihn auch so gepackt hatte, das Gefühl der vielen kleinen Schweine, die sich an die vielen Brüste drängten, die alle um die Mutter kämpften und sich säugen ließen von den Brüsten, die für sie alle das Leben waren. Die Sehnsucht danach konnte auch zum Sog werden, der die Lebenskraft in sich hinunterzog in die Tiefe.

‚Sohn Gottes!’ hatte sein Leben geschrien, bar aller Vernunft und fern allen Rücksichten. Nicht ‚Vater’, nicht ‚Mutter!’ war ihm das Bild, das ihn herausgerissen hatte, als er geschrien hatte, wie ein Kind schreien konnte.

Nach der Frucht rief er, nach dem Spross, dem die mütterliche Sorge galt, der im menschlichen Leibe aufgehenden Sonne, dem Grund aller Lebensentstehung. Nach dem ‚Sohn’ hatte er gerufen, nach einem Menschen, der daraus geworden war, der nicht mehr den Tod verbreitet, sondern von der Fruchtbarkeit gesprochen hatte, in einem Gleichnis, die aus der Quelle des Lebens kommt und den Keim erwachsen sehen will, aus dem ein Leben aufwachsen soll, das aussagen kann, was Gott an ihm tut.

Nach dem Kind Gottes rief er.

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