Kapitel 10, Vers 38/1

Eine Frau nimmt ihn auf in ihr Haus. Sie will ihm alles recht machen. Es soll dem Gast nichts fehlen. Für eine Zeit bei dem fortwährenden Weiterziehen soll er ein Dach über dem Kopf haben und behütet sein. Eines Tages wird es so weit kommen, daß er wirklich die Barmherzigkeit eines Nächsten nötig hat. Aber niemand kann ihm abnehmen, was er vor sich sieht und was er in sich trägt. Es ist nicht angemessen für einen Gastgeber, dem Gast im Haus seine Geschichten und seine Wahrheiten zu entlocken. Es ist ein anderes Tun, womit sie ihn umgibt und was sich gehört um der Gastfreundschaft willen.

Die Schwester der Frau hat es leichter, weil die Last, es ihm recht machen zu müssen, nicht auf ihr liegt. Sie kann sich vorstellen, daß ihr Gast nicht einer von denen ist, die in Ruhe gelassen werden wollen und die versorgt werden müssen mit ihren Ansprüchen.

Der Gast, um den jemand sich Mühe macht, muß sich aber auch die Mühe machen, sich richtig zu verhalten, seinem Gastgeber nicht zu viel abzuverlangen an Aufmerksamkeit, sich bedienen zu lassen, ohne daß es zu einer Begegnung kommt, die seinem Wunsch nach Aufgenommenwerden, nach Gehörfinden entsprechen würde. Die Verrichtungen machen die Aufmerksamkeit zunichte, die der Angekommene vielleicht erwartet hatte; das Bedienen zieht eine sorgfältige Grenze, die ein Zunahekommen verhindert. Es sind nur Zeichen, das Zubereiten, das Kochen, das Vorsetzen, das Abräumen, für ein: ‚Ich bin dir nahe, ich bin für dich da!’

Aber es sind auch Zeichen für den Verzicht, der über lange Zeit erlernt worden ist, daß einmal jemand käme, der nur für einen selber da sein würde, um sich alles mitteilen zu lassen, um sich alles erklären zu lassen, um alles zu verstehen, um dann dafür Trost oder sogar Frieden zu erhalten. Um die Sitten und Gebräuche der Gastfreundschaft ist eine stille Traurigkeit, weil niemand einen anderen erreichen kann in seinem Inneren und niemand sich erreichen lassen kann im eigenen Inneren. Der Friede, der vom anderen her auf einen zukommt, kann nur geglaubt werden, aber erfahren, in die eigene innere Welt aufgenommen, kann er nicht.

Jesus sieht auf diese Hände, die für ihn da sind, sieht auf dieses Leben, das ihn bedient und ferne von ihm bleibt. Und die Zeit vergeht, lässt nichts gültig werden, was doch angewiesen wäre auf Innehalten, auf Stillehalten, auf Einhalten aller Geschäftigkeit und des Getriebes der Alltäglichkeit.

Ein Sabbat sollte wachsen zwischen Zweien, zwischen Dreien oder den Wenigen, die miteinander versammelt sind und nicht essen und trinken müssen und Unterhaltung pflegen, damit Sicherheit wird, dass sie zusammengehören. Die Frau tut so Vieles, macht sich zu schaffen, von dem sie glauben möchte, dass sie ihm Gutes tut damit.

Aber das Gute für ihn wäre, dass er jemand findet, dem er sich mitteilen kann, ein Leben, in das er eingehen kann und das ihn einlädt dazu. Aber die Schwester, die setzt sich auch zu ihnen, entzieht sich dem Dienst an den Gästen, lässt sie nicht unter sich bleiben.

Einspruch ist; Vorwurf wird: <Herr! Fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? > Sie muss es ihm sagen, er fragt ja nicht danach, dass sie alleine ihm dient. Sie ist alleine gelassen in ihrem Dienen und sie wusste es schon immer, nur nie so deutlich wie in diesen Stunden, wo sie ihr Haus für ihn geöffnet hat. Er muss mit seinen Leuten weiterziehen, aber wenigstens für eine Zeit soll er es schön bei ihr haben und später daran zurückdenken. Aber ihre Schwester drängt sich an den Gast, zieht seine Aufmerksamkeit auf sich und tut nichts. Sie hört ihm nur zu, lässt ihn reden, antwortet mit ihrer Aufmerksamkeit. Aber die notwendige Arbeit lässt sie die Schwester tun.

‚Was wird er von ihr denken?' denkt es in der Frau; sie sieht auf ihre Schwester, die auch zu seinen Füßen sitzt, ihrem Zuhören hingegeben und zum Verarbeiten des Gehörten bereit.

'Hat sie wirklich nichts anderes zu tun?' denkt die Frau, aber sie greift nicht nach der Schulter der Schwester, wie sie es macht, wenn sie alleine mit ihr ist, um sie aus ihren Träumen zu reißen. Sie wendet sich an ihren Gast, damit der sein Gewicht und sein Ansehen ins Spiel bringen soll. 'Jemand muss ihr doch mal sagen, was sich gehört und was sie zu tun hat.' Und wenn Jesus ein richtiger Gast wäre, dann würde er seine Gastgeberin unterstützen und die Schwester zurechtweisen.

Wenn es nicht gerade ihre Schwester gewesen wäre, wäre es ganz gleich gewesen, worüber oder mit wem Jesus geredet hätte unter ihrem Dach.

Sie hätte sie reden lassen und hätte sie bedient, die Leute, die Gäste, die Herrschaften, ohne sich einmischen zu wollen oder auch nur verstehen zu wollen, wovon geredet wird. Ihre Aufgabe ist klar umrissen. Zu allen Zeiten muss bei Tisch bedient werden und im Hintergrund die ganze Arbeit gemacht werden, damit die vorne ihre Ruhe haben und ihre Zufriedenheit finden.

Wie sich jemand fühlen muss, der immer nur im Hintergrund bleibt, ein Schatten ist, um zu bedienen, das gehört nicht zu dem, was die Gäste kümmert. Mühsam unterdrückter Zorn, der nicht alleine ihrer Schwester gilt, ist in ihrer Stimme. Sie hat ihn auch in ihr Haus geladen, damit ihr einmal recht wird. Jemand muss auch Jesus einmal wachrütteln, damit er merkt, dass Reden und Worte machen alleine nicht das Leben ausmachen. Dann sagt er: 'Martha, Martha! Du hast viel Sorge und Mühe!'

Das wenigstens hat er gemerkt. Und dann kommt das große: 'Aber!' Immer gibt es ein: 'Aber! '

'Glaubt denn so einer, dass unsereins, die immer nur arbeitet, nicht auch mal jemand nötig hätte, der sich zu einem setzt und einen anhört! Aber unsereins hat es längst aufgegeben, darauf zu warten.' Es macht nur zornig, wenn sich eine Schwester so dazwischendrängt und sich nimmt, was einem selber zustehen müsste.

Deshalb ruft er sie mit ihrem Namen an, deshalb mutet er ihr zu, was so schwer zu ertragen ist: 'Laß deine Schwester. Diesmal hat sie das gute Teil erwählt. Es soll nicht von ihr genommen werden.' Nicht die Schwester, nicht der Gast sollen es ihr wegnehmen.

Niemand soll jetzt sagen: 'Wenn das alles ist, dann soll sie ihr gutes Teil behalten!' Niemand soll ihr den Frieden nehmen, an dem sie von da an teil hat.

Aber das andere Teil soll auch nicht verachtet sein: 'Du hast viel Sorge und Mühe!' Es ist kein gutes Teil, was ihr selber zugefallen ist, es ist ein schlichtes Teil, in den Augen vieler Menschen ein schlechtes Teil. Einmal wird dieses Teil von ihr genommen werden, wenn es heißt: 'Dann!' 'Dann wirst auch du hören!' 'Andere werden dir dienen, sich sorgen um dich und sich mühen.' Was der Schwester zuteil wird, kann auch wieder fortgenommen werden, aber nicht jetzt. Und die Stimme und diese Augen sind vor ihr und lassen sie nicht hineinreden in das, wovon die Lieder voll gewesen sind: <Darum will ich sie locken und in die Wüste führen und ihr Mut einsprechen!>

<Und ich werde dich mir erwerben - auf immer! Ich werde dich mir erwerben, wie es recht ist und sich gebührt, durch Güte und Liebe! Ich werde dich mir erwerben durch Treue, so daß du Jahwe erkennst!>

Ein Klang von Ferne ist's, für einen Augenblick die Wahrheit, die sie erfüllt. Mit dem ganzen Herzen muss ein Mensch daran glauben, mit aller Seele, mit seiner ganzen Kraft daran festhalten wollen, dass es geschehen wird. Einmal kommt für jeden der Tag des 'guten' Teils, wenn der Mut nur solange reicht, um darauf warten zu können. Dann wird auch die Schwester sagen: 'Sage ihr doch, dass sie es auch angreife!'

Aber auch dann wird ein Mensch begreifen müssen, dass er allein geblieben ist in seinem Dienen, unter Schwestern, unter Brüdern, aber allein mit einem 'guten' Teil, das sich so verächtlich ausnimmt unter dem vielen Anderen, was unter die Menschen und in ihr Leben ausgeteilt ist.

Das eine gute Teil wiegt alles auf. Als sie ganz in Ruhe ist und die Stille sie einhüllt und kein Widerspruch und keine Forderung sie mehr erreicht, lässt sie ihn in ihr Leben sehen, ist ganz bei sich selbst und ist selig in ihrem Hören.

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