Wie oft hat die Stimme gerufen, geschrien, die jetzt in der Stimme eines einzelnen Menschen hinaufruft zu den Mauern der Stadt: 'Wie oft - deine Kinder versammeln - '
Die Steine haben das Rufen verschluckt, die Worte sind nicht gehört worden im Lärm der vielen Stimmen - im Tun der Tage -. Manchmal nur - zwischen Tag und Nacht - wenn das Singen erwachte und die Stille anfing zu sprechen - dann - in einem Singen und Sagen und im Schweigen war noch zu hören, woher die Stimmen und die Worte und das Singen ihren Klang erhielten. Sie rührten an, wenn sie hinter den Grenzen des Vergessens das doch-noch-Erinnerte, das nie Vergessene hervorlockten - die Erinnerung an die Stimme, die jedes Leben ins Leben gerufen hatte und über jedes Leben wachte - und in jedem Reden und Sagen und Schweigen enthalten ist - 'Wie oft - Kinder!'
'Wie oft, Kind!' hatte die Stimme hinter jedem hergerufen, mit der einen Sorge in den vielen Sprachen, welche die Welt kennt. Und jetzt soll die Stimme allen gelten, den Vielen, im Süden, im Westen, im Osten, im Norden - wenn die Nacht, die Dunkelheit des Verderbens und Untergehens über sie kommen soll - um dann zu rufen: 'Ihr'!
Und es kann doch nur die Stimme eines Einzelnen, eines einsamen prophetischen Menschen sein, die da ruft - und nicht erhört werden kann - in der sich die Stimme Gottes auftut - und nur deswegen nach Aufmerksamkeit verlangt - nur deshalb ankommen will - nur deshalb so laut ist: damit im Lärm der vielen Stimmen nicht auch dieser Laut noch untergehen muß -damit etwas davon erhalten bleibt - damit, bevor es zu spät ist, ein Hören sich öffnet und ein Herz antwortet. In so vielen Sprachen, in so vielen Lauten, Worten und Bildern ist die Stimme enthalten .
In Wirklichkeit kommt es nur auf den Klang dieser einen Stimme an - in allen Stimmen, in allem Rufen, in allen Lockungen: ‚Ich habe dich gerufen - Ich!' In allen Irrtümern, Verwechslungen, unter fremden Stimmen, bleibt diesem Rufen der Beiklang der Verheißung.
Wieviel an 'Oft!' steht hinter diesen Worten, an Erfahrung, an Klagen und Rufen! 'Wie oft!' - kann er von sich selber sagen, bis zu diesem Augenblick.
Es waren Viele vor ihm, die vergeblich gegangen sind.
Die Kinder der Tiere hören, wenn die Stimme ruft - sie können nicht anders. Die Kinder der Menschen sind anders - die einen warten und niemand ruft nach ihnen - und die andren, die die Stimme über sich wissen und ihre Wachheit über ihrem Leben wissen, die antworten nicht und folgen der Stimme nicht. Sie folgen ganz andren Stimmen, die sie über sich bestimmen lassen, denen sie gehorsam sind - als seien das die Stimmen, in denen ein Gott spricht und über ihr Dasein verfügt, Ordnung stiftet und Zutrauen verlangt.
Die Stimmen der Mütter haben viele Töne und viele Farben, in denen sich die Verheißungen des Lebens auftun .
In ihren Stimmen sind die Zusagen der ganzen Welt einem nahe. Ein Riß geht durch das Leben, ein Schmerz wird fühlbar: im Entbehren erst des Getragenwerdens, im Fehlen der Wärme, der Nähe, wird der Klang des Erinnerns geweckt. Immer muß erst alles zu Ende sein, muß die Hoffnung zerbrochen und der Widerstand erloschen sein gegen die Einsicht des Mißlingens, bis endlich der Stimme des Rufens zuerkannt werden kann, mit welchem Fordern sie nach einem ruft und verlangt, gehört zu werden.
Viele kommen von Norden und Süden, aus Osten oder Westen, die suchen und finden oder in die Irre gehen.
Die Ersten sind nicht besser dran als die Letzten. Die Ersten waren auch die ersten Mörder oder die Ersten waren die, welche wie Abel zu früh davon mußten und nicht wurzeln konnten in der Erde.
Er hat gesagt: <Ihr werdet mich nicht sehen, bis daß die Zeit kommt, da ihr sagen werdet: 'Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!'> (13,35) Dann ist er doch zu ihnen gegangen, nicht, um sich sehen zu lassen, denn er konnte nicht mehr erwarten, daß ihm entgegenkommen würde etwas von dem: 'Gelobt sei, der da kommt!'
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