Alles, was Leben hat, ist angewiesen darauf, fortwährend die Erde, von der es getragen wird und das Aussehen des Himmels zu prüfen; Pflanzen, Tiere und die Menschen tun es.
<Warum urteilt ihr nicht von euch selber, was recht ist?> lautet die Frage, die seitdem noch mancher Andere gestellt hat, wenn es um das Erkennen und Deuten der Zeit gegangen ist und um das Verstehbarmachen unter denen, die unter der Zeit leiden. Das Schwerste ist es und kaum zu schaffen, das Urteilen von sich selber her. Denn jeder ist den Gesetzen, den Überlieferungen, den Geboten und Vorschriften, seiner Welt ausgesetzt und unterworfen.
Jedes Leben ist versorgt und umsorgt mit Bräuchen, die auf Schritt und Tritt begleiten in der Weisheit der großen Kult- und Lebensgemeinschaften.
Wenn immer wieder die Stimmen aus eigenem Urteilen sprachen, wurden sie von dem unterdrückt, was als die Stimme von Recht und Ordnung, aus Macht und Gewohnheit und als Niederschlag aus den Kämpfen der Geschichte aufgebaut worden war und trotz allen Widerspruchs gültig blieb.
„Warum nicht Ihr?“ Immer, wenn Jesus Fragen stellte, war es den Angesprochenen auch möglich, eine Antwort zu finden. Es gibt keine Antwort auf sein: "Warum nicht?
Vielleicht gibt es keine Antwort?
Wartet er diesmal darauf, daß einer antwortet, bei sich, in sich: 'ja!' 'Ich urteile bei mir selber, was recht ist!'?
Fünf in einem Haus werden uneins sein.
Ein Zwiespalt teilt, was scheinbar zusammengehört. 'Was für eine Welt!' 'Was für Zeiten!' geht die Klage. Jeder weiß von einem, der gegen ihn ist, jeder kennt seinen Widersacher. Und das gilt von einem Haus, in dem gemeinsam gewohnt wird. Das große Haus, in dem die Völker eingewohnt sind, hat teil an diesem Uneins-Sein, an diesem Zwiespalt, an dieser Trennung. Da gibt es keine Fünf, wie die Finger einer Hand, zu einem gemeinsamen Schaffen gemacht und gebraucht, die ein gemeinsames Wirken gewährleisten würden.
Die Hand ist in sich selber nicht einig. Die Hand, die nach den Gütern der Welt, die nach dem greifen will, was dem Leben seinen Sinn geben kann, die nach dem Gut der Seligkeit greifen möchte, ist in sich uneins.
'Was habe ich getan?' 'Wie habe ich es tun können?' fragt die Stimme, die nach dem Rechttun forscht und dem Wissen begegnet, daß in allem, was getan worden ist, ein tiefer Zwiespalt und eine furchtbare Widersprüchlichkeit und Uneinigkeit enthalten ist, die nicht wieder gut zu machen geht.
'Urteilt von euch selber!' braucht nicht erst den Vorwurf, der vom Andren herkommt, einen erreicht oder an einem vorbeigeht. Nicht die Klage eines Mitmenschen braucht es, damit das Klagen des Lebens in einem selber aufsteigt und Urteilen macht.
In Wahrheit geht es um ein Erkennen, das die Heuchelei über die Zwiespältigkeit des Daseins aufreißt, die krasse Ungerechtigkeit der Verteilung von Lebensgut und Lebenssinn enthüllt und unverhohlen vor die Fragen nach Rettung und Heilung stellt.
'Urteilt von euch selber!' allein begründet nicht den Zorn, der von seinen Mitmenschen ausbricht.
Irgendwann kommt in jedem Leben der Augenblick, wo die Fähigkeit des Urteilens 'von sich selber' geleugnet wird, um der Lasten willen, die auferlegt sind. Belastet unter einem Schicksal sind die Mitmenschen, die am Wege stehen oder zurückgeblieben sind oder behindert haben, wo eine Bitte, ein Anrufen, ein Nahetreten nötig und möglich gewesen wäre. Einmal erwächst aus dem 'Urteilen von sich selber' die Klage um das Verlorene an Miteinander, Freundschaft, Hilfe und Tröstung.
Wenn der Regen kommt, weiß jeder, was er zu tun hat, und wenn es nur um die Wäsche geht. Und wenn die große Hitze kommt, dann sagen alle schon vorher: 'Es wird heiß!' Nur, wo es um das Urteilen von 'sich selber' geht, im Blick auf die Zeichen, die von der Zeit gesetzt werden, will niemand sehen, was kommen wird. Die Wenigen, die sehen können, was die Zeichen der Zeit fordern, werden nicht gehört und wegen ihres Wissens um Unheil und Heil gescheut und verfolgt.
Zu spät denken Viele daran, daß sie denen Unrecht getan haben, die sie auf ihren Gassen gesehen und gehört hatten, ohne ihr Reden in sich aufzunehmen, und nicht von sich selber her urteilten, was die Zeichen der Zeit ansagten. Man wird dann sagen: 'Man tut uns unrecht.' 'Wir haben nur getan, was andre wollten, daß wir es tun!' Erst wenn es zu spät ist, kommen die Einsicht und das Urteilen 'von sich selber'. Weher Mut und der Schmerz des Inneren wird dann zur Last, weil immer noch Erinnern ist an das Vertane, das Verlorene, das nicht mehr zu Findende. Nur Zeichen hat die Zeit gelassen, wenn sie vergangen ist.
Aber es heißt dann nicht nur: 'Ich' habe die Zeichen der Zeit damals nicht erkennen können!' sondern auch: 'IHR habt mich verleitet, daß ich eurem Urteilen folgte.' ‚Eure Weisungen waren falsch. Ich hätte nicht achten sollen auf euren Rat und auf eure Führung, der ich mich anvertraute.' Um sich selber dann noch achten zu können, muß mancher leugnen, die Zeichen der Zeit wahrgenommen zu haben und wird zum Heuchler, vor sich selber, vor andren, um sich nicht den Zwiespalt, die Uneinigkeit im eigenen Haus eingestehen zu müssen.
Zu spät wird es sein, Ins Dunkel zu fragen: 'Wer schafft mir Recht?' Woher kommt Hilfe, um die Einigkeit des ganzen Gelebten herzustellen? 'Ach Gott!' spricht es dann nur noch, wenn das Alles nicht mehr zu ertragen ist. Als Gespaltene gehen die Menschen durchs Leben.
Sie sind mit sich selber nicht einig und verhalten sich gegen Andere feindselig, obwohl sie gezwungen sind, alle in einem Hause zu leben. "Mühe dich auf dem Wege, daß du deinen Widersacher los wirst!" Das ist ein Ratschlag von einem her, der die Zeichen der Zeit erkennt. 'Versöhne dich!' heißt es nicht mehr.
Die Hoffnung auf Gerechtigkeit oder nur darauf, daß Recht gesprochen wird, wird nicht angesprochen, auch nicht zum bloßen Trost. Wenn einer nun zu klagen hat, dann soll er sich hüten, vor die Obrigkeit zu gehen, um Gehör für seine Klage zu suchen und Anteilnahme an seiner Beschwernis zu finden.
Einige gibt es immer, die das Bedürfen empfinden, daß ihnen Versöhnung zuteil wird. Mancher beharrt darauf, daß dem Angebot der Versöhnung das Suchen und Verlangen eines Mitmenschen vertrauend entgegenkommt.
Viele werden umkommen auf den Wegen und niemand soll sagen, daß sie Sünder gewesen sind und alle, die ihr Leben davontragen, die Guten sind, nicht, wenn sie seine Haltung zu alltäglichem Unglücksgeschehen begriffen haben. Es werden Wenige sein, die von sich selber her urteilen und begreifen, daß sie an einer Schuld tragen, weil sie Überlebende sind.
Das Mühen geht dahin, die Widersacher los zu werden, solange noch alle auf dem Wege sind. Schon drohen seine Worte: <Wenn ihr nicht Buße tut!>
Niemand, der umkommt, kann schuldiger sein als solche, die das Dasein behielten und wohnen können, wo andre vergangen sind.
Nicht nur die Gewalten der Erde und die Gewalten des Himmels bedrohen das Leben. Die tödliche Gewalt geht von Menschen aus und schwierig ist es, ihr zu entkommen, selbst wenn jeder sich müht, den Widersachern zu entkommen oder ihnen entgegenzukommen. Niemand soll glauben, daß bei den Obrigkeiten Rettung, Hilfe und Gerechtigkeit zu finden ist.
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