Kapitel 12, Vers 22/1

Die Worte Jesu verbergen die Sorge nicht, mit der er mahnt und ermutigt: <'Sorget nicht!'> Sie brauchen sich keine Scheunen zu bauen, sie haben nicht genug, um sich die Sorge vom Leibe zu halten. Eines andren Feld hatte 'wohl getragen.'

Hinter jedem Sorgen steht das dumpfe Gefühl der Schuld, einem Erwarten etwas schuldig haben bleiben zu müssen. Sie können sein Reden nicht anders verstanden haben als aus dem Sorgen um ihr Leben heraus gesprochen, als ein Raten, mit ihrem Sorgen fertig zu werden.

Kein Mensch kann dem andren guten Gewissens raten wollen, sein Sorgen zu lassen. Jeder Mensch hat den andren nötig, der sich um ihn sorgt. 'Sorge nicht, was du reden sollst, wenn du dein Leben rechtfertigen mußt vor denen, die die Macht haben, dich zunichte zu machen.' 'Der Heilige Geist wird - !’hat er gesagt. (12,11.12)

Die Vögel, deren Fliegen so mühelos ist wie das Gleiten der Augen, die ihnen folgen, tragen in ihrem Fliegen schon das Sorgen mit sich - um sich zu wahren vor den Wintern andrer Länder, vor den Dürren ihrer Herkunftsländer, um die Brutstätten, um die Nester, um die Jungen, die nach ihnen fliegen müssen. Er weiß doch auch, wovon die Raben sich nähren.

Keine der Frauen, die auf ihr Kind hinsahen, konnte ihrem Leben auch nur einen Tag hinzufügen, auch wenn ein Kind die Tage mit der Mutter nötig gehabt hätte. Da soll keiner kommen und den Kindern sagen: <Fragt nicht, was ihr essen oder trinken sollt, macht euch keine Unruhe!>

Menschenleben wächst nicht auf wie Gras, wie eine Blume oder wie ein Baum. Und auch die brauchen Erde und Wasser und Platz, um zu wurzeln.

Niemand soll behaupten, es hinter sich zu haben, das Fragen: 'Was soll ich anziehen?' Das Ansehen, die Ehre, selbst das Kleid der Herrlichkeit, haben ihre Gewänder, wie die Armut, das Elend, die Heimat und die Heimatlosigkeit ihre Kleider haben. Die Schönheit kleidet sich und die Arbeit, die Häßlichkeit, der Krieg und das Begehren und die Trauer und die Vergänglichkeit, das Jungsein und das Altwerden.

Für die Augen andrer ist das wichtig und für das Leben selber auch, das sich ein Kleid schaffen muß, in dem es sich auf der Erde hält, Und wenn es die Kleider nicht mehr sind, dann sind es die Spuren und die Narben auf der Haut, die Farbe der Haut selber und die Gestalt des Körpers, die anzeigen, woher ein Mensch gekommen ist und wohin er gehört und wem er zugehört. Wer in das Nicht-mehr-Sichtbare sehen kann, der sieht auch dort die Narben über den Verletzungen, spürt die Verkleidungen, unter denen sich das Leiden und Entbehren verhüllt.

Verborgen geht es immer mit und bleibt gegenwärtig, das Erleben und Sammeln der Seele und ihr Sorgen, Aber sein Fordern bleibt, auch wenn ihm die Sorge antwortet.

,Was muß ich anziehen?' ist mehr als die Frage, ob es kalt oder heiß, naß oder trocken ist in der Welt und wie ein Leben sich schützen muß vor der Witterung. Andere Notwendigkeiten und Nöte und Erwartungen sprechen mit und bewirken Sorge. <Gott wird euch kleiden - > hat er versprochen, als könne er in die Tage ihres Kindseins sprechen und alles noch einmal zusagen mit der Stimme einer Mutter, die ihre Kinder den Menschen, dem Land, dem Himmel und Gott überlassen mußte. 'Sorge nicht, mach keine Unruhe!' darf keiner dem andren Leben raten. Schon ein erster Atemzug sorgt dafür, daß der nächste folgen kann. Der Atem der Bäume sorgt dafür, daß das Leben sein kann.

'Fürchte dich nicht!' sagt er, vertraut es vergänglichen Worten an, sorgt selber nicht um Weitergabe oder Schrift, gibt keine Anweisungen und keine Erklärungen, gebraucht keine Entschuldigung, sagt nur: 'Sorgt nicht! 'Unruhe macht nicht!'

Kein Sprechen aus Sorge ist das. Jesus sorgt nicht für sich selbst. An der Aufnahme der Botschaft entscheidet sich schon, ob eine Aufnahme unter die geringe Menge stattfand, von der 'der Vater' weiß, daß auch seine Menschen das brauchen, wonach das Bedürfen aller auf der Suche ist.

<'Trachtet nach dem Reich Gottes!'>: Er traut ihnen zu, daß sie begreifen, daß die Zeichen verstanden werden für etwas, wonach jeder einzelne auf die Suche gegangen ist, als er die kleinen Bereiche verließ, in denen jeder verwurzelt war.

'Kleine Herde!' nennt er seine Leute. 'Trachtet nach' gilt den Wenigen, die ohne Fürchten sich auf den Weg machen können, um zu suchen nach einem Reich, das zu unterscheiden ist von den Reichen, nach denen alle Völker in der Welt suchen.

'Trachtet nach - !' widerspricht dem, was sich eines 'Ichs' bemächtigt und es auf die Suche treibt nach dem, was ihm notwendig fehlt. Was das Leben braucht, ist nur in der 'Großen Herde' zu haben, wo einer dem andren Schutz und Hilfe, Mitarbeiter, Aufgabe und Last zugleich ist.

<'Verkauft, was ihr habt!' ‚Macht euch Beutel, die nicht veralten, einen Schatz, der nicht abnimmt: im Himmel!'>

Damals war noch alles jung, frisch und ganz ohne die Erfahrungen, die solche Worte und den Glauben an einen Schatz, der nicht abnimmt, im Himmel, veralten lassen mußten und als die Sage einer vergangenen Zeit erscheinen ließen.

<’Euer Schatz - euer Herz!'> Für Augenblicke bringt das Herz den Glauben auf an einen Schatz, an den es sich hängt, der im Himmel wartet, der viele Jahre lang gesucht, gefunden und gehoben werden muß, Jahre, in denen sich das Herz den Schätzen verweigert, die in seiner Welt Anspruch erheben, gesucht und gefunden und gehoben zu werden. Das Erwarten muß seine Erfüllung finden - in dieser Zeit und nicht im Himmel. Das Herz hängt sich an viele Schätze, die ihm Trost verschaffen, auch wenn es auf den Schatz im Himmel dabei verzichten muß.

‚Laßt eure Lenden umgürtet sein, eure Lichter brennen - seid gleich den Menschen, die warten - selig sind die Menschen!'>

Es ist auf der Erde ein Traum, der sich nicht Vielen erfüllt, daß einer kommt und sie 'zu Tische sitzen' läßt und 'ihnen dienen' will. Es war ein hartes Wort, von einem harten Menschen gesprochen wie es Johannes war oder Elia, oder wie von einem der vielen Propheten. Mancher vor ihnen wartete, daß der 'Herr' einmal doch kommen würde; ein Tisch wäre gedeckt und der 'Herr' würde geben, wonach ihr Bedürfen aus war.

Nicht wirklich kann das einer glauben wollen, auch wenn sein Herz darauf wartet und darauf angewiesen wäre, daß einer käme und ihm dienen möchte.

Dem Warten wird Seligkeit zugesprochen. Und mancher sieht sich um nach denen, die mit ihm warten und mag sie doch nicht mehr fragen, ob sie selig sind in den Erwartungen ihrer Herzen. <'Gebt fort, was ihr habt!'> konnte er damals sagen, als der Weg noch vor ihnen lag und sich öffnete, damit ein Zugang gefunden würde zu dem Schatz, der im Himmel wartet und sie sich lösen aus den Versuchungen oder sich im Verzichten mit den Schätzen ihrer Welt zufrieden geben, nach denen aber ihre Hände greifen können und ihren Körpern das Gefühl der Geborgenheit und des Trostes geben - wenigstens für eine Zeit.

Viele haben gebetet um des 'Herzens Trost und mein Teil' und haben doch gehen müssen, ohne ihres Herzens Freude erlebt zu haben. Viele werden durch ein Dasein gehen müssen, das ihnen keinen Trost, keine Freude und wenig Anteil gibt an allem, was ein Leben braucht, auch wenn der Vater im Himmel wissen müßte, was gebraucht wird, wonach das Bedürfen geht.

Als die Worte in ihre Herzen fielen, war es auch für einen Augenblick leicht, alles, was sie hatten, von sich zu lassen fortzugeben für den Gewinn des Schatzes im Himmel.

Es war die Zeit als alles noch am Anfang war und die Wonne der Seligkeit sie anrührte. Aber eine Zeit kommt, wo Menschen in der Not von Leib und Seele Mühe haben, die Sehnsucht in den alten, Gebetsworten wiederzufinden und ihr Leuchten zu begreifen: <Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil!> (Ps 73)

Es wird sich entscheiden, ob sie auch zu den Wenigen gehören, die ihre Lichter brennen haben und am Verlöschen hindern durch die Sorgfalt, die dem Warten gilt in den Dunkelheiten des Daseins. Durch die dichten Hüllen ihres Alltages dringt eine Stimme: <Des Menschen Sohn kommt - zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint!>

Mancher Knecht hat sich als Herr geglaubt, wenn er erst begriffen hatte, daß des Menschen Sohn <verzieht> zu kommen. Manche Knechte sind zum Herrn geworden, weil die Mitmenschen es nicht ertrugen ohne einen Herrn zu sein, der als <Haushalter> im Namen dessen, der nie kommt, über ihnen ist.

Sie vermochten dann nicht mehr zu fragen, ob er <ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen gebührt.> Dem <viel gegeben> ist, der wird sich auch zu hüten wissen, daß <viel bei ihm gesucht> werden kann und <wem viel anbefohlen> wurde, hat auch immer die Möglichkeit gefunden, alle Forderungen von sich abzuweisen.

Wem wenig gegeben ist, bei dem wird auch noch nach dem Wenigen gesucht, was aus ihm herauszupressen ist, und gefordert wird meist durch solche, die den Forderungen an sich selber ausweichen. Die Drohung mit dem <Lohn mit den Ungläubigen> hat noch niemanden erschrecken können. Der Lohn, den der Menschensohn zuteil werden lassen kann, ist in weite Fernen entrückt, als die Herren sein Bild auf ihre Tafeln herabsehen lassen und die Denkmale errichten lassen, mit denen der verehrt wird, der für die Herzen schon lange gestorben ist.

"Der Knecht weiß seines Herrn Willen!" ist seine Antwort auf die Frage seines Jüngers: <"Wer ist denn der treue und kluge Haushalter?> Er überläßt ihrem Schweigen die Antwort.

Jesus hat sich verändert: ein Fordernder, ein Wollender steht vor ihnen. Er hat sich über sie erhoben, macht sie zu Knechten, die für ihn da sein sollen. Seine Knechte erkennen das schöpfungskräftige Wollen, das von ihnen viel fordert, weil ihnen viel anvertraut wird.

Selig können die Knechte sein, wenn die Stunde kommt, die niemand kennt und sie vorbereitet findet. Zu allen redet er, meint auch die ungehorsamen, untreuen, welche die Worte wissen und doch nicht nach ihnen handeln – und auch die, die seine Worte verwerfen und den Geist leugnen, mit dem Gott nach ihnen greift.

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