Jesus sagt: <'Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man's mit Augen sehen kann!'> Und dennoch sagt er: <'Siehe!'> Ein anderes Sehen wird verlangt.
Vom Vater im Himmel sagte er, daß da ein Sehen 'ins Verborgene’ ist. (Mt 6) Aber jeder sieht nur, was vor einem ist, ins Verborgene sieht keiner. Weiter dringt das Beobachten nicht. Er erscheint wie ein Fremder, Das Gehör nimmt auf, wie er fast demütig sagt: 'Das Reich Gottes ist mitten unter euch!'>
Aber das Wort weckt kein antwortendes Bild im inwendigen Menschen, Der suchende Blick möchte anderes sehen und findet kein den Erwartungen entsprechendes Bild, das ihm was sagen könnte. Das 'Samenkorn' wurde nicht geweckt. Von außen gesehen gab es kein Vermögen, um anzunehmen, was in ihrer Mitte aufwuchs und die Aufmerksamkeit wurde nicht aufgebracht, die dem Geschehen in ihrem Inneren hätte zugewendet werden müssen. Obwohl es den Spruch gibt: <Eure Söhne und Töchter sollen weissagen; eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen!> (Joel 3)
Mit Recht wartet mancher seitdem auf die Ausgießung des heiligen Geistes. Aber das ist etwas, wo niemand einfach zusehen kann, wo es Beobachten gäbe ohne eigenes Ergriffenwerden und innerstes Beteiligtsein. Aber das Menschliche will auf ein Begreifbares und Sichtbares hin gewiesen werden.
<Es wird die Zeit kommen, daß ihr sehen werdet!>
Damit meint er die Jünger: 'Ihr'! Und ist wieder bei dem Gleichnis vom Arbeiter, der keinen gedeckten Tisch vorfinden kann und der von seinem Herrn nicht bedient wird: <'Ihr werdet nicht sehen!'>
Sie unterliegen wie alle andren der Versuchung, wenn gerufen wird: 'Siehe hier! Siehe! Dort ist es!' Und dann zieht es einen hierhin, dorthin, das Begehren, 'einen der Tage des Menschensohnes' zu sehen. Das Bild ist keineswegs versunken vom König, der über seinen Leuten steht und sich traut zu sagen: 'Ich habe Gott ein Haus gebaut! Kein einziges Wort Gottes ist hinfällig geworden.'
Dann ist es doch eine Erscheinung, die er benutzt, um vom Tag des Menschensohnes zu sprechen: Ein Blitz reißt alles, was unter dem Himmel ist, aus dem Finsteren und taucht es in gleißendes Licht, Ein Bild, ein Geschehen der äußeren Welt, vor dem das Innere und seine Welt erschrickt und in Entsetzen getaucht wird, weil blitzartig das Verborgene sichtbar wird unter dieser gleißenden Helle. Die Erkenntnis leuchtet auf; der Blitz einer Erleuchtung schafft Klarheit angesichts einer Welt, über deren Grauen sich das Leben bewegt.
Aber die Menschheit hat nichts anderes zu tun als zu essen, zu trinken, zu kaufen und zu verkaufen, zu pflanzen und zu bauen. Dann kommen die Tage und Nächte, wo es Feuer und Schwefel vom Himmel regnet und umbringt die einen, und die Überlebenden sagen: ‚Hätten wir doch nur erkannt zur rechten Zeit, was zu unserem Heil gewesen wäre.'
Daran rührt Jesus nicht weiter; er redet nur von dem Offenbarwerden des Menschensohnes, das ähnlich geschehen wird.
Siehe! Mitten unter euch!' sagt er. Um seinen Weggenossen dann vorzuhalten, daß sie den 'Tag' nicht sehen werden.
Keiner wird mehr rufen wollen, hinweisen mit: 'Seht hier! Seht doch dort!’ und auf das zeigen, was geschieht, wenn 'der Tag' da ist. Auf das Leiden möchte die Abscheu, die Verlegenheit, die Neugier hinblicken, aus sicherer Entfernung, als Zuschauer: <Der Gerechte ist umgekommen - niemand ist da, der es zu Herzen nimmt! – fromme Leute sind hingerafft, niemand achtet darauf> (Jes 57) Dankbarkeit steigt aus dem Innersten: Es hätte einen selber treffen können, aber andre hat es weggerafft. Tief verborgen vor Andren, vor dem eigenen Ich kommt das Aufatmen: 'Gott sei dank, daß nicht ich es bin - nicht ich!' 'Die hat es getroffen - nicht mich!'
Die Seele selber stimmt der Verwerfung der andren zu, um des eigenen Daseins willen, das Gott erhalten wollte. Aber ein Dasein trägt von da an an der Verletzung, beeinträchtigt ist das Leben, das wollen soll, daß dem Nächsten kein Leid geschieht.
Verworfen wird des 'Menschen Sohn', als unnütz vom Leib seines Volkes abgetrennt, als unnützes Glied verworfen: von diesen Geschlecht.
Jona sah, wie sich die große Stadt bekehrte. Jesus wird nicht sehen, wie ein neues Geschlecht heranwächst, um einen Altar zu errichten nach dem Vorbild eines Noah: Nie mehr wird Gott verfluchen die Erde des Menschen! -'Nie mehr!'
Wenn ein anderes Geschlecht noch einmal glaubt, an Altären stehen zu müssen, dann mit dem Wissen und dem Wollen und dem Versprechen: Nie mehr! Nie mehr leiden machen, nie mehr einen Menschen verfluchen, verwerfen - um des Menschensohnes willen. Jesus bleibt bei sich, verleugnet eher seinen Daseinsanspruch, seinen Körper, sein Dasein unter allen andren, verleugnet das Am-Lebenbleiben-Wollen, um das Leben nicht zu verraten, das das Haus seines Leibes birgt. Keiner tritt in den Weg, keiner hält den Lauf des Geschehens auf - niemand spricht: 'Haltet ein!' 'Laßt los!' 'Macht ein Ende damit: mit der Quälerei, mit allem, was Ihr ein Ende machen nennt!'
Niemand sagt: 'Steh auf!' Niemand ruft nach Ihm - bevor es zu spät ist.
Veräußert ist es, läßt zu einem Wortgebilde unter vielen andren Wortgebilden werden, was ein Gebilde ohne Worte ist, was Wille ist und Mut und Treue, die Treue eines Knechtes: <'Ich bin nicht feige, ich weiche nicht zurück!'> (Jes 50)
Stille Worte, Zuspruch der Barmherzigkeit: <'Wer da sucht, seine Seele zu erhalten, der wird sie verlieren!' 'Und wer sie verlieren wird, der wird ihr zum Leben verhelfen.'>
Sich bewahren wollen, sich retten, sich abwenden, fliehen, hat keine Verheißung.
Keiner mehr, der vor dem Verhängnis sich nach dem Hausrat umsieht, um zu holen, was zu retten ist: Aufgeben von allem, was hinter sich zu lassen ist, was verloren ist, der Seele zu liebe. Angenommen werden oder verworfen werden: Ein Leben, das gerettet wurde, kann ein Verworfenes sein? Wie soll dann Leben sein, wie kann dann noch Weiterleben sein? Es kann nicht verleugnet werden, was vor aller Augen ist, was alle Andren wollen.
Es gibt Menschen, die eher ihr Leben verlieren wollen, nur um nicht verleugnen zu müssen, des Irrglaubens, der Abweichung vom allgemeinen Weg beschuldigt, gedemütigt, für Dumme gehalten, verspottet, der Bosheit bezichtigt, als Abfall fortgeworfen; und die Andren glauben, daß sie selbst damit ihr Leben gerettet, ihrem Dasein Sinn gegeben haben, wenn sie denen das antun.
Keine Sprache hat Worte, kein Wortgebilde stellt nach, was Wirklichkeit war. Erinnerung drückt nicht aus, vermittelt nicht die Menge und die Tiefe an Schmerz und Leiden. Die Sprache ist nur ein Zeichen, hinter der sich das verbirgt, was dem Leben angetan wurde und denen, die nicht verleugneten. Worte bemänteln, hüllen ein, verbergen - lassen zu einem Nichts gerinnen, verwerfen das Entsetzen, was die menschliche Seele erlitt, was sie empfunden, gefühlt hat.
Wie ein Blitz - ein Blitz, der alles mit Licht überfällt - herausreißt aus der Finsternis, in die Menschen geworfen werden: Wie ein Blitz, der vom Himmel in die Menschenwelt fährt, ist das Erscheinen des Menschensohnes. Dann kommt das Sehen, dann! Die 'Klugen' machen weiter ihre Worte, denen die Traurigkeit mangelt, die es brauchte, um dem nachzudenken. Weise wären sie, wenn sie das alles wüßten, wo nur Gott hingesehen hat, der alles sieht, auch was im Verborgenen geschieht.
Worte nur tragen die Wunden, die zugefügt wurden. Worte heilen nicht die Verletzungen. Erinnerung macht nicht mehr gut, was Böses getan wurde. Es braucht keinen Blitz.
Die Erleuchtung, die das Sehen bringt, überfällt einen, der zum Altar geht. Es braucht den Blitz nicht, um gewahr zu werden, daß ein Bruder oder eine Schwester etwas gegen den einen hat, der am Altar stehen will - oder Worte reden will: <Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, daß dein Bruder etwas wider dich habe, so laß vor dem Altar deine Gabe und geh hin und versöhne dich -> (Mt 5)
An den Altären, die stehen werden, wird nicht mehr geopfert. Weder die kleinen Gaben des alltäglichen Glaubens noch andre 'Gaben', die scheinbar wohlgefällig sind: Weit ist der Weg zu einem 'Bruder', der etwas gegen den hat, der am Altar stehen will. Es braucht keinen Blitz, wenn die Erkenntnis als Erleuchtung über einen kommt. Und dann verstummen macht. Wer 'Im Namen Jesu' Gotteswort sprechen muß, der ist darauf gefaßt, daß Gott <öffnet die finstern Schluchten und bringt heraus das Dunkel ans Licht!>
Das Gedächtnis des Inneren, das alles bewahrt, wo die Augen sich schlossen oder vorbeisahen, steht vor dem Vorwurf und der Frage: <Ihr seid Lügentüncher! Seid unnütze Ärzte! Wollt ihr Gott verteidigen mit Unrecht und Trug für ihn reden?> (Hiob 13) Jeder muß stehenbleiben vor dem Altar - jeder spricht nur mit Wehmut die Worte nach, die erhalten blieben aus dem alten Vermächtnis. aus verbliebenem Gedächtnis: <Was ihr zu bedenken gebt sind Sprüche aus Asche!>
Andere Stimmen kommen zum Sprechen, die Einsprüche, die nicht erhörten Klagen, die Schreie der Schmerzen bilden den Hintergrund - aus der Asche noch. Ein Zeichen, ein Gleichnisreden: <Wo das Aas ist, sammeln sich die Geier!> Sie hocken da - die Geier - die Menschen, um den von ihrem Urteil Verworfenen, um das Menschen-Aas, das Hände zugerichtet haben. Und gehen nach Hause, essen, freien und lassen sich freien , kaufen und verkaufen, pflanzen und bauen, hegen ihre Brut. Ihr Dasein schwimmt wie ein Boot auf dem unendlichen Meer des Vergessens.
Die Geier sind schon am Himmel, warten.
Jesus geht auf dem Weg nach Jerusalem, auf einem Weg, auf dem nur Wenige gehen: <'Es geht nicht an, daß ein Prophet umkomme außerhalb Jerusalems'>: Er hat auf Jerusalem hingesehen, hat ihr wahres Gesicht erkannt: <’Jerusalem Tochter Zion - du tötest - den, der dir gesandt ist’.>
Es ist nur ein Mensch, der auf seinem Weg fällt, liegen bleibt, weggeworfen wird - Geier -? Menschen! Verkleidet in ihrem Rechttun - alles für das Recht - mit Recht ausgerüstet. Wer gibt wem die Schuld - wer trägt die Schuld, die alle Menschen tragen müssen: Zwei auf einem Lager, zwei bei der Arbeit auf dem Feld. Aus Feldsteinen waren die kärglichen Altäre der frühen Zeit: einer hat den Andren angenommen wie ein Tier seinen Feind annimmt, erhielt sein Leben, obwohl er verworfen wurde. Hielt sich im Dasein, sah nicht die Geier. Fühlte auch nicht das Lauern der Kräfte in sich, denen sein Körper, sein Geist, seine Seele dienstbar waren: die wirkenden Kräfte sind nicht mit Augen zu sehen. Ein verfallender Altar, ein Haufen Steine, wie ein Wegzeichen, wie ein Denkmal für die Wandernden, blieb. Wer dem Andren das Leben nehmen kann, kann am Leben bleiben. Er hat versucht, seine Seele zu erhalten. Er hatte die Kinder. Und Abel wird zu seinem Recht verholfen?
Seine Leute fragen nur: 'Herr, wo?' 'Wann?'
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